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Historiker und Informatiker hauchen Vergangenheit Leben ein
Fächerübergreifdne zusammenarbeit lässt das "Rothe Zimmer" der Kemenate in Schloss Thurnau als 3D-Rekonstruktion wieder erstehen
Das ‘Rothe Zimmer‘ der Kemenate von Thurnau. Screenshot des 3D-Modells
Der Geist der Jahrhunderte
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es wäre, den Geist der Jahrhunderte atmen und verlorene Räume in ihrem mutmaßlichen Originalzustand betreten zu können? In einem spannenden interdisziplinären Projektansatz haucht nun ein Team von Bayreuther Geschichts- und Medienwissenschaftlern sowie Informatikern der Vergangenheit wieder Leben ein: Sie haben die Originaleinrichtung des ‘Rothen Zimmers‘ in der hohen Kemenate von Schloss Thurnau, lange Zeit Stammsitz der Grafen von Giech, anhand historischer Quellen recherchiert. Daraus entsteht nun das 3D-Modell dieses heute verlorenen historischen Raumes, das zeigen wird, wie das ‘Rothe Zimmer‘ im 19. Jahrhundert ausgesehen hat. Im Rahmen des Bayreuther Stadtgespräches vom 5. Februar 2020, das überaus gut besucht war, berichtete das Forscherteam über seine Arbeit: Dr. Marcus Mühlnikel und Dr. Robert Schmidtchen (Geschichte), Felix Liedel (Medienwissenschaft) sowie Prof. Dr. Michael Guthe (Angewandte Informatik) erläuterten die Herangehensweisen der unterschiedlichen Disziplinen und gingen sowohl auf die Grenzen als auch das Potential von Digitalisierung und digitalen Museen aus ihren fachlichen Blickwinkeln ein.
Sammlungsführer zu den Giech'schen Sammlungen, 1863 (
Die Idee für eine gemeinsame Lehrveranstaltung, die die Abbildung eines historischen Raumes zum Ziel hatte, entwickelte
sich in einem Kollegengespräch: Dr. Robert
Schmidtchen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neueste Geschichte, hat
in den letzten Jahren schon mehrere Veranstaltungen an der Schnittstelle zwischen
Geschichts- und Medienwissenschaften /
Informatik angeboten. Dr. Marcus Mühlnikel
vom Institut für Fränkische Landesgeschichte hat sich mit den Sammlungen der Grafen
von Giech beschäftigt. Die Sammlungen,
zwischen 1857 und 1938 auf Schloss Thurnau
zu besichtigen, befinden sich heute größtenteils im Besitz der Familie Hiller von Gaertringen und lagern in einem Depot.
Ansichten aus dem 3D-Modell
Federzeichnung des ‘Rothen Zimmers‘ von Heinrich Grünewald, 1863
Detail aus dem 3D-Modell: Die Qualität der digitalen Exponate hängt ganz wesentlich von der Qualität der Vorlage ab.
Ausschnitt aus dem 3D-Modell: Eingefügt sind die Prunkwiege sowie zwei Tapisserien.
Historiker und Informatiker arbeiten eng zusammen
Beide Wissenschaftler stellten sich die Frage, wie es sich realisieren ließe, zumindest einen Teil der Ausstellung zu rekonstruieren und damit die Exponate in ihren ursprünglichen Sammlungszusammenhang zu setzen. Dies erschien auch deshalb sehr lohnenswert, weil sich einige der Stücke mittlerweile in anderen Ausstellungen oder privaten Sammlungen befinden und eine physische Zusammenführung der Exponate kaum mehr möglich ist. Im Rahmen einer gemeinsam durchgeführten Lehrveranstaltung im Wintersemester 2019/20 zum Thema ‘Rekonstruktion verlorener historischer Räume‘ wurden die Studierenden sowohl in die Geschichte der Sammlungen und die Provenienzforschung als auch in die Möglichkeiten der 3D-Modellierung eingeführt. Wichtige Unterstützung erhielten die Historiker hierbei von der Informatik: Prof. Dr. Michael Guthe, Professor für Angewandte Informatik an der Universität Bayreuth, und Darius Rückert, Doktorand der Universität Erlangen, stellten ihr Fachwissen zur Verfügung.
Die Studierenden setzten sich zunächst mit der Geschichte der Sammlungen als Ganzes auseinander und nahmen dann die Spur einzelner Objekte auf. Als historische Quellen dienten neben einigen Zeichnungen vor allem der historische Sammlungsführer aus dem Jahr 1863 sowie Schriftstücke des heute im Staatsarchiv Bamberg liegenden Giech-Archivs. Die Familie Hiller von Gaertringen, in deren Besitz sich ein Großteil der Sammlungsstücke befindet, unterstützte das Vorhaben nach Kräften und ermöglichte die Digitalisierung relevanter Objekte. Allerdings hatte der letzte Graf von Giech in den 1920er Jahren einige Sammlungstücke verkauft und der heutige Aufenhaltsort dieser Objekte ließ sich nicht immer ermitteln. Dies wird an der Geschichte der drei sog. Khevenhüller-Tapisserien (1572) deutlich: Während einer der Teppiche im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird, gelangten die beiden anderen über ein Berliner Antiquitätengeschäft in den 1930er Jahren an den amerikanischen Medienmogul Randolph Hearst. Hearst verkaufte die Stücke wenige Jahre später weiter. Einer der Teppiche tauchte 1985 bei einer Versteigerung auf und befindet sich heute auf Burg Hochosterwitz in Kärnten. Vom dritten Teppich verlor sich die Spur.
Ansichten aus dem 3D-Modell
3D-Modell: Raum-Rekonstruktion über viele Einzelaufnahmen
3D-Modell: Oberflächenstruktur des Raumes
3D-Modell: Zimmer-Totale vor Einfügen der Exponate
Ein 'begehbares' 3D-Modell der Kemenate entsteht
Um das ‘Rothe Zimmer‘ digital zu rekonstruieren, wurde zunächst der leere Raum auf Basis hunderter Fotografien erfasst und mithilfe entsprechender Software in ein ‘begehbares‘ 3D-Modell umgewandelt. Anschließend galt es, auf gleiche Weise die ursprünglich im Raum befindlichen Gegenstände – neben den genannten Tapisserien sind das u.a. Totenschilde, ein Kunstschrank, eine Sammlung von Siegelabgüssen und weiteres Mobiliar – abzubilden. Die digitalisierten Gegenstände wurden schließlich maßstabsgetreu in das 3D-Modell eingepasst.
Die letzte Aufgabe oblag wiederum den Historikern. Sie schrieben Informationstexte zu den einzelnen Exponaten, die in das 3D-Modell eingebettet wurden. Die digitale Version des ‘Rothen Zimmers‘ ist zwar noch nicht vollendet. Das im Rahmen des Seminars entstandene Modell dokumentiert aber bereits das Potential, das in der Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft und Informatik in diesem Bereich liegt.
