Epistemische Kreativität als Schlüssel zu einer positiven Entwicklung in Afrika
Interview mit dem nigerianischen Philosophen Prof. Dr. Joseph Agbakoba, Georg Forster-Forschungspreisträger der Humboldt-Stiftung, über seine transkoloniale Herangehensweise an moderne Zukunftsentwürfe Afrikas.
Prof. Dr. Joseph C. A. Agbakoba, Professor für Philosophie an der University of Nigeria, wurde für sein bisheriges wissenschaftliches Schaffen mit dem Georg Forster-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung ausgezeichnet. Bis 2024 wird er am Institut für Philosophie der Universität Bayreuth zu den philosophischen, ethischen und interkulturellen Grundlagen der Entwicklung in Afrika forschen. Im Folgenden spricht er über seine entwicklungsphilosophischen Interessen und seine transkoloniale Herangehensweise an moderne Zukunftsentwürfe Afrikas.
Gibt es heute an afrikanischen Universitäten philosophische Richtungen, die als besonders innovativ und wegweisend gelten?
Die direkte Antwort lautet ja. Ich beziehe mich hier auf einen neuen philosophischen Ansatz, bei dem es um eine eigenständige afrikanische Antwort auf die Erfahrungen und die Lebenswirklichkeit der Menschen in Afrika geht. Sie stellt sich den epistemischen Herausforderungen, die entstehen, wenn man auf verschiedene Wissensressourcen zurückgreift und diejenigen Aspekte miteinander verbindet, die sich bei genauerer Prüfung als wahr und funktionsfähig erweisen könnten.
Welche Wissensressourcen sind in diesem Zusammenhang für Afrika besonders relevant?
Die hauptsächlichen Ressourcen sind das vorkoloniale indigene Wissen, das koloniale Erbe einschließlich der Moderne, aber auch neue und global verfügbare Wissensressourcen. Der innovative philosophische Ansatz, von dem ich hier spreche, fasst indigene, koloniale und globale Wissensbestände nicht als fertige, in sich geschlossene Systeme auf, sondern arbeitet auf eine kreative Verknüpfung dieser Ressourcen hin. Er vermeidet essentialistische Auffassungen, wonach es einen unveränderlichen ‘Wesenskern’ afrikanischer Identität gebe. Von daher ist dieser Ansatz konstruktivistisch und zugleich transkolonial, in dem er die Grenzen des kolonialen und vorkolonialen Erbes überwinden will. Aspekte der Interkulturalität, der Hybridität und der epistemischen Kreativität rücken damit in den Fokus des Interesses.
Welche Einsichten ermöglicht dieser neue Ansatz?
Zunächst einmal lässt er uns erkennen, dass es für die Menschen in Afrika vor allem zwei Quellen der Identität gibt: das historische Erbe und die Selbstdarstellung durch epistemische Kreativität, die neue Entwürfe eigener Identität ermöglicht. Auf diese Kreativität können und sollten wir bei der Entwicklung Afrikas zurückgreifen, weil das historische Erbe infolge des Kolonialismus problematisch ist. Der neue transkoloniale und konstruktivistische Ansatz ermutigt uns dazu, nicht auf vermeintlich fertige, historisch und kulturell definierte Identitäten fixiert zu sein und stattdessen unsere Freiheit, die Selbstermächtigung zum eigenen Handeln und unsere Eigenverantwortung zu betonen.
Diese Herangehensweise an die Entwicklung Afrikas ist nicht zuletzt eine Therapie für die vom Kolonialismus verletzte afrikanische Psyche. Sie bedeutet auch, dass sich die moderne Afrikawissenschaft nicht länger als „protest scholarship“ versteht, wie der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe dies genannt hat. Eine vom Protest geprägte Wissenschaft produziert Kritik und negatives Wissen – also Informationen über das, was trotz entgegengesetzter und historisch dominanter Behauptungen nicht der Fall ist. So wichtig dies auch sein mag, in den Afrikastudien sollten wir hauptsächlich positives Wissen hervorbringen und neue Erkenntnisse über die Wirklichkeit in die künftige Entwicklung Afrikas einbringen.
Kann eine solche Ausrichtung der Afrikastudien ein positives afrikanisches Selbstbild fördern?
Ja, genau dies leistet der philosophische Ansatz, den ich skizziert habe: Er fördert eine positiv gestimmte Kreativität bei der Wissensproduktion und stärkt die damit verbundenen Prozesse der Identitätsbildung.
Wie beurteilen Sie den Einfluss der Philosophie auf öffentliche Debatten oder politische Prozesse in Afrika? Hat die Philosophie eine Stimme, die in der Öffentlichkeit gehört wird?
Ob die Stimme der Philosophen in der öffentlichen Debatte gehört wird oder nicht, hängt sehr davon ab, inwieweit ihr Engagement den Interessen der Öffentlichkeit entspricht. Afrikanische Intellektuelle fanden in der Zeit des antikolonialen Widerstands und des Kampfes um staatliche Unabhängigkeit starke Beachtung. Sie waren geradezu Anführer dieses Kampfes, der – um einen Ausdruck des Philosophen Isaiah Berlin zu verwenden – ein Kampf für negative Freiheit war, für die Freiheit von den hauptsächlich von außen auferlegten Zwänge. Dieses Engagement deckte sich mit den Interessen der Öffentlichkeit und ging einher mit der Sorge um die durch den kolonialen Rassismus verletzte und gefährdete afrikanische Identität. Mit dem Erreichen der Unabhängigkeit wandelte sich dieser Kampf für negative Freiheit in das Streben nach positiver Freiheit: einer Freiheit, die mit der Entwicklung erweiterter und neuer Fähigkeiten einhergeht. Der indische Philosoph und Ökonom Amartya Sen hat Recht, wenn er Entwicklung in diesem Zusammenhang als Freiheit betrachtet. Um Freiheit zu erlangen, benötigen wir positives Wissen, das im afrikanischen öffentlichen Interesse verwurzelt ist, und – damit verbunden – soziale Integration, Frieden, Wissenschaft und Technologie sowie eine entwicklungsorientierte gute Regierungsführung.
Ist die aus dem antikolonialen Widerstand hervorgegangene „protest scholarhip“ obsolet geworden?
In vieler Hinsicht ist sie auch heute noch der in Afrika dominierende Ansatz, insbesondere in den Afrikastudien. Doch das damit verknüpfte identitäre Anliegen und der eindimensionale Fokus auf dem kolonial geprägten Anderen, von dem es sich abzugrenzen gilt, erweisen sich als wenig produktiv. Auf diese Weise haben sich zahlreiche afrikanische Intellektuelle von den Menschen und ihren tatsächlichen alltäglichen Bedürfnissen abgekoppelt. Auch in dieser Hinsicht ist der transkoloniale Ansatz ein Korrektiv. Die Reaktionen, die ich selbst und andere erhalten, wenn wir uns an Universitäten und in anderen Foren für diese neue kreativitätsorientierte Herangehensweise aussprechen, sind sehr ermutigend.
Welche Bedeutung hat das Thema "Dekolonisierung" in philosophischen Debatten in Afrika?
Viele afrikanische Philosophen sind heute der Dekolonisierungsdebatte und ihrer Fokussierung auf den “bösartigen Anderen” überdrüssig. Ein kürzlich erschienenes Buch des Philosophen und Politiktheoretikers Olufemi Taiwo mit dem Titel “Against Decolonization” ist ein Ausdruck dieser Unzufriedenheit. Wir sind uns schmerzlich bewusst geworden, dass das Scheitern afrikanischer Entwicklung in den letzten sechs Jahrzehnten – und auch schon davor – überwiegend eine Folge des Versagens afrikanischer Handlungsfähigkeit war. Wir hatten Entwicklungsräume und Ressourcen, mit denen wir unsere Gesellschaften viel, viel besser hätten gestalten können, als sie heute sind, aber sie wurden von schrecklichen Führungsschichten vergeudet. Gleichwohl gibt es in Afrika bis heute eine Öffentlichkeit, die diese Führungsschichten stützt und ermutigt. Der nigerianische Soziologe Peter Ekeh hat versucht, dieses Phänomen mit seinem Konzept der zwei afrikanischen Öffentlichkeiten zu erfassen. Wir leben in einer gesellschaftlichen Konstellation, in der eine Person von ihrer Familie, ihrem Clan oder ihrer ethnischen Gruppe – also innerhalb der ursprünglichen informellen Öffentlichkeit – bestraft würde, wenn sie den etablierten öffentlichen Sektor nicht zu den eigenen und zu deren Gunsten korrumpiert. Diejenigen, die diese Möglichkeiten der Korruption voll zum eigenen Vorteil ausnutzen, gelten in der heimischen Gemeinschaft als Heilige, aber sie gelten als Schurken in der rechtlich verfassten nationalen oder regionalen Gemeinschaft. Die Menschen unternehmen daher in ihrem eigenen Lebensumfeld wenig, um Machtmissbrauch zu kontrollieren. Hinzu kommt, dass die Mittel, die in den traditionellen Gesellschaften zur Kontrolle von Machtmissbrauch entwickelt wurden, im modernen öffentlichen Sektor nicht wirksam sind.
Welche Rückwirkungen haben diese Erfahrungen auf das Konzept der Dekolonisierung?
Die eben skizzierten Probleme haben den Menschen in Afrika, vor allem in Westafrika, klar gemacht, dass unser Problem der "innere Feind" ist, wie es so schön heißt. Die Menschen erkennen, dass die politische Entkolonialisierung – die ein moralisches Gebot und das Ziel eines sich lohnenden Widerstandskampfs war – ihre Versprechen nicht eingelöst hat, obgleich die staatliche Unabhängigkeit erreicht wurde. Die darauf folgende wirtschaftliche Entkolonialisierung, die mit einer Afrikanisierung und Enteignung ausländischer Unternehmen einherging, scheiterte sogar noch kläglicher: Geld und Ressourcen gelangten in korrupte, inkompetente private Hände und wurden verschwendet. Mittlerweile sind viele Menschen vom Scheitern der Entkolonialisierung und der Rolle afrikanischer Verantwortungsträger so angewidert, dass sie nach einer Rekolonialisierung rufen. Ich selbst halte diese Forderung für absolut verfehlt, aber manche Intellektuelle unterstützen sie. Ihnen gefallen die Ordnung und Effizienz der Kolonialzeit, sie sehen aber nicht die großen moralischen, politischen und sozialen Probleme und haben keine wirklichen Argumente, warum eine Wiederbelebung der kolonialen Verhältnisse ein Allheilmittel sein sollte, anstatt zu einer noch größeren Katastrophe zu führen.
Wird nicht auch die umgekehrte These vertreten, dass die Dekolonisierung längst nicht abgeschlossen sei und beispielsweise in Kultur und Wissenschaft konsequent vertieft werden müsse?
Ja, mittlerweile fordern zahlreiche Intellektuelle, auch im Bereich der Philosophie, eine umfassende Dekolonisierung von mentalen Einstellungen und Wissenssystemen in Afrika. Doch viele, die sich diese Forderung zu eigen machen, sind sich über die Folgen nicht im klaren: Eine konsequente Umsetzung würde bedeuten, sich von der vernunft- und wissenschaftsgeprägten epistemischen Orientierung des Westens abzuwenden – und somit auch das Wissen und die Kompetenzen abzulehnen, die es dem Westen ermöglicht haben, den Rest der Welt zu kolonisieren. Eine radikale Abkehr von den Wissenssystemen des Westens aber wäre verknüpft mit der Rückkehr zu eben jenem Mindset, der zahlreiche Völker im Globalen Süden geschwächt und ihre Verwundbarkeit vergrößert hat. Dies wäre keine vernünftige Option für Afrika, solange keine besseren Alternativen zu einer an Vernunft und Wissenschaft ausgerichteten Orientierung in Sicht sind.
Ist dies nicht eine sehr radikale Interpretation der Forderung nach einer „Dekolonisierung des Geistes“?
Manche Intellektuelle, die sich öffentlich für Dekolonisierung aussprechen, würden jetzt in der Tat einwenden, dass sie keine radikale antiwestliche Programmatik im Sinn haben. Nötig ist aus ihrer Sicht eine Art gemäßigte Dekolonisierung, bei der wir fallweise das Nützliche in unserem kolonialen Erbe behalten und alles Unnütze oder Schädliche wegwerfen. Einer solchen moderaten Dekolonisierung fehlt allerdings eine rationale Grundlage, die uns gut begründete Kriterien für die Auswahl des Nützlichen und die Aussonderung von Unnützem an die Hand gibt. Genau dies aber sollte eine Philosophie der Entwicklung für den afrikanischen Kontinent leisten können. Sie sollte in der Lage sein, rationale Argumente und Erklärungen vorzubringen, sie systematisch aufeinander zu beziehen und selbstkritisch zu reflektieren. Zugleich sollte sie in grundsätzlichen Fragen zu mehr Klarheit beitragen – insbesondere in Bezug auf die Dimensionen und Ziele von Entwicklung in Afrika und die damit verknüpften Entwürfe eigener Identität. In dieser Hinsicht hat die Idee einer moderaten Dekolonisierung intellektuelle Schwächen.
Halten Sie das historisch zweifellos verdienstvolle und notwendige Konzept der Dekolonisierung für unzulänglich, wenn es um heutige Entwicklungsfragen geht?
Es bleibt jedenfalls in vieler Hinsicht unbefriedigend. Soweit ich sehen kann, sind zahlreiche Befürworter der Dekolonisierung einem traditionalistischen Essentialismus verhaftet. Sie haben ein statisches Bild von afrikanischer Identität und lassen daher bei der Verwirklichung von Entwicklungszielen nicht genügend schöpferische Freiheit zu. Der eingangs beschriebene transkoloniale Ansatz ist eine bessere, nachhaltige Entwicklungsphilosophie für Afrika. Er schafft den nötigen intellektuellen Spielraum für die Bearbeitung grundlegender Zukunftsthemen. Dazu gehören auch neue Konzepte für den Umgang mit Ungerechtigkeit in den internationalen Beziehungen.
Welche Rolle spielt im Kontext dieser Debatte ein universalistisches, von der „europäischen Aufklärung“ beeinflusstes Selbstverständnis der Philosophie?
Einige afrikanische Vertreter der Dekolonisierung lassen sich heute von Auffassungen leiten, die einem universalistischen Verständnis von Wissenschaft und Philosophie entgegensteht. Sie neigen – zusammenfassend gesagt – zu Traditionalismus, Nativismus, unnötigem Essentialismus und Relativismus. Ich selbst und auch andere Philosophen in Afrika widersprechen dieser Haltung. Das relativistische Verständnis der Logik, der Wahrheit und des Wissens rührt von der Unfähigkeit oder der Weigerung her, logische Gesetze von konkreten Gedankengängen individueller Personen zu unterscheiden. Universalität und Intersubjektivität werden oftmals pauschal verneint, weil die Bedingungen für die Geltung von Aussagen nicht unterschieden werden von den kontingenten Voraussetzungen, unter denen sie entstanden sind. Selbstwidersprüche, Spaltungen und Isolation sind die Folgen. Die Dekolonisierung und ihre Grundlagen sind also – sobald wir beginnen, sie als radikale Ideologie, beispielsweise als „Dekolonialität“, zu verstehen und nicht mehr als Instrument zur Wiedererlangung von Freiheit und Souveränität in politischer und rechtlicher Hinsicht – das falsche Heilmittel für eine gesellschaftliche Krankheit.
Was verstehen Sie darunter?
Die vom Kolonialismus geprägten Herrschaftsbeziehungen und ihre Auswirkungen auf die Kolonisierten und die Kolonisatoren lassen sich treffend als gesellschaftliche Krankheit auffassen. Dekolonialisierung als Ideologie läuft Gefahr, diese Auswirkungen zu verfestigen. Statt den ehemals Kolonisierten dabei zu helfen, die Auswirkungen des Kolonialismus im Denken und Handeln zu bekämpfen, untergräbt sie die dafür erforderliche Selbstermächtigung. Zudem kann sie negative Emotionen wie Wut, Hass und geringes Selbstwertgefühl schüren. Nötig ist übrigens in diesem Zusammenhang eine Selbstprüfung auf allen Seiten, denn im Kern sind die kolonialen Strukturen des Herrschens und Beherrschtwerdens ein universales Phänomen: Länder in Afrika, Asien und Amerika hatten, bis sie selbst kolonisiert wurden, eigene Reiche und bauten eigene koloniale Strukturen auf. Einige von ihnen kämpfen noch immer um die Bewahrung ihrer Vorherrschaft. Die koloniale Haltung ist also ein menschliches Problem, das als solches angegangen werden muss.
Geht es gerade in jüngster Zeit nicht auch um konkrete politische und rechtliche Fragen, beispielsweise um eine Entschädigung für kolonialisierte und versklavte Menschen in Afrika?
Ja, selbstverständlich. In Debatten über Entschädigungen für die Folgen der Kolonisierung und über Hilfen für den Wiederaufbau afrikanischer Gesellschaften hilft es den ehemaligen Kolonisatoren jedoch wenig, wenn sie über einen pragmatischen Umgang mit Fragen der Entschädigung hinausgehen und ideologisch fixierten Konzepten der Dekolonisierung folgen. Der dekoloniale Ansatz hat auch keinen wirklichen therapeutischen Wert, wenn er die ehemaligen Kolonisatoren – zugespitzt gesagt – in die "Selbstverbrennung" treibt. In gewisser Weise können Kolonisierung einerseits und eine als ideologisches Programm betriebene Dekolonisierung andererseits negative Auswirkungen haben, die sich in mancher Hinsicht ähnlich sehen: Lähmung der Handlungsfähigkeit, Schwächung einer positiven Kreativität, Unterminierung von Werten, die menschlicher Produktivität zugrunde liegen, Misstrauen, Nervosität, gesellschaftliche Spaltung und fehlender interkultureller Austausch.
In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass bestimmte Aspekte der Aufklärung nicht hilfreich waren. Dekolonisation als eine Ideologie ist ein Abkömmling der kantischen Auffassung, wonach der Konflikt der hauptsächliche Treiber gesellschaftlicher Entwicklung ist. Einige Grundlagen dieser Theorie gingen auf Hegel über, und übertrugen sich dann über Marx und kritische Theoretiker auf heutige Theoretiker der Dekolonisierung. Doch gerade die Erfahrung vieler Entwicklungsländer im Globalen Süden zeigt: Harmonie ist für die Entwicklung von Gesellschaften und Staaten eine bessere Grundlage als der Konflikt. Der Erfolg von ehemals kolonialisierten Länder in Asien und einigen Ländern in Afrika, insbesondere Botswana, ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen. Philosophische Ideen zur Harmonie in sozialen Beziehungen sind traditionell im afrikanischen und asiatischen Denken verwurzelt.
Wollen Sie in Ihren eigenen philosophischen Arbeiten daran anknüpfen?
Ja, während meiner Zeit an der Universität Bayreuth werde ich diese traditionellen Zusammenhänge genauer erforschen. Dabei ist mir die Verknüpfung mit Vorschlägen zur Lösung sozialer und ökologischer Fragen und mit Überlegungen zu einer Neugestaltung internationaler Beziehungen sehr wichtig. Ich will auf eine Konkordanztheorie der Entwicklung hinarbeiten, die den Entwicklungsbedingungen im globalen Süden besser gerecht wird. Im Zentrum meiner Überlegungen steht das Konzept einer positiven praktischen Gerechtigkeit, die auf gesellschaftlicher Harmonie gründet und soziale Unterschiede ausbalanciert. Entscheidend hierfür sind der Wille zur Versöhnung, Respekt und wechselseitige Wertschätzung, Investitionen in Bildung und Entwicklungsressourcen, Freiheit und eine gemeinsame Orientierung am menschlichen Wohlergehen – bei gleichzeitiger Verschiedenheit möglicher Wege, die auf dieses Ziel hinführen. Vergeltung, Strafen und andere Formen der Zufügung von Schmerzen sind nicht die bevorzugten Mittel zur Förderung des Gemeinwohls. Dies zeigt die koloniale und postkoloniale Geschichte vieler Länder des Globalen Südens überdeutlich.