Die Erforschung des Weltraums aus afrikanischer Perspektive: das Riesenteleskop "Square Kilometre Array" in Südafrika

Am 6. Dezember 2022 wurde in Kapstadt, Südafrika, parallel zur Eröffnung des World Science Forum 2022 der Bau des "Square Kilometre Array" – kurz: SKA – offiziell bekannt gegeben, das nach seiner Fertigstellung das größte und leistungsfähigste Radioteleskop der Welt sein wird. Ein ähnliches Teleskop wird in den nächsten Jahren in Australien gebaut. Mit diesen Forschungsinstrumenten, die in ein weltumspannendes Netzwerk von Teleskopen integriert sein werden, ist es in Zukunft möglich, einen sehr großen Ausschnitt des Weltalls gleichzeitig mit hoher Präzision zu beobachten. Der Bau der beiden Riesenteleskope ist das Herzstück des internationalen Projekts „Square Kilometre Array Observatory (SKAO)“, an dem insgesamt 20 Länder weltweit beteiligt sind, davon neun afrikanische Länder. Anlässlich des Baubeginns berichtete das internationale Wissenschaftsmagazin "Sci-Dev.net" von euphorischen Erwartungen: "African astronomers point to a golden age of astronomy on the continent as work starts in South Africa on the world’s biggest telescope." Haben Sie den Eindruck, dass dieser Enthusiasmus über die astronomische Fachwelt hinaus auch die südafrikanische Öffentlichkeit erfasst?

Irina Turner: Es gibt auch in Südafrika viele Hobbyastronom*innen, die die Nachrichten über das SKA verfolgen. Aber es ist sicherlich eine große Herausforderung, der Öffentlichkeit die allgemeine Relevanz dieses wissenschaftlichen Megaprojekts zu vermitteln. Der Wert und die Bedeutung der riesigen Datenmengen, die in naher Zukunft gesammelt werden, können noch längst nicht vollständig abgeschätzt werden. Daher ist es nicht immer leicht, die erheblichen Investitionen zu rechtfertigen, die in das Projekt fließen. Doch es ist klar, dass ein Projekt dieser Größenordnung sich unweigerlich auf viele Menschen auswirken wird, die sich bisher nicht für Astronomie interessieren. In afrikanischen Kontexten ist es auch oft wichtig, die Relevanz der Weltraumforschung für das Hier und Jetzt zu betonen und auf Nebeneffekte hinzuweisen. Während der Covid-19-Pandemie halfen SKA-Ingenieur*innen in Südafrika beispielsweise bei der Entwicklung medizinischer Atemgeräte, die nicht mit Strom betrieben werden müssen.

Sehen Sie auch Nachteile des Projekts?

I.T.: Ja, die laufenden Forschungsarbeiten in Südafrika und das Vorgängerprojekt MeerKAT in der Halbwüste Karoo behindern durchaus das Leben der Menschen in den Dörfern der unmittelbaren Umgebung. Mikrowellengeräte oder Mobiltelefone dürfen nicht genutzt werden, weil die Strahlen die Signale stören könnten. Außerdem ist der Besuch dieser Dörfer ein komplizierter Prozess, der viele bürokratische Genehmigungen erfordert. Für viele Einheimische ist das Projekt auf den ersten Blick daher eher ein Schreckgespenst als ein Versprechen. Diese Problematik wurde unter anderem von meinem südafrikanischen Kollegen Davide Chinigo untersucht.

Glauben Sie, dass der Bau des Riesenteleskops der astronomischen und physikalischen Forschung auf dem afrikanischen Kontinent neue Impulse geben und damit die technologische Entwicklung auf dem gesamten Kontinent vorantreiben wird?

I.T.: Die wissenschaftliche Bedeutung des SKA-Projekts wird sich sicherlich nicht auf Afrika beschränken, denn es handelt sich um ein Vorhaben, dass dezidiert auf globale Zusammenarbeit hin angelegt ist. Kein Land kann die Daten für sich allein auswerten, da die verschiedenen Standorte zu einem großen Satelliten zusammengeschlossen werden. So werden die in Südafrika und an anderen afrikanischen Standorten gewonnenen Erkenntnisse die astronomische Forschung weltweit vorantreiben. Auf diese Weise gewinnt der afrikanische Kontinent einen festen Platz auf der Landkarte der Weltraumforschung. Dies führt schon heute zu mehr Investitionen in Ausbildung und wirtschaftliche Infrastruktur, aber auch in die Forschung selbst. Bereits seit der Jahrtausendwende haben einige afrikanische Länder Investitionen in die Weltraumforschung deutlich vorangetrieben. Die damit verbundenen Technologien sind vor Ort hilfreich, beispielsweise für Wettervorhersagen. Das SKA hat diese Dynamik in vielerlei Hinsicht beschleunigt.

Als in den 1960er Jahren das Apollo-Programm der NASA gestartet wurde, das schließlich zu einer Reihe spektakulärer Mondlandungen führte, wuchs auch in Deutschland bei vielen jungen Menschen die Begeisterung für die Raumfahrt. Können Sie sich vorstellen, dass das neue Riesenteleskop-Projekt auch die Phantasie junger Menschen in Afrika beflügelt und ihr Interesse an der Weltraumforschung weckt?

I.T.: Ich kann natürlich nicht stellvertretend für die gesamte junge Generation in Afrika sprechen, aber es ist wahrscheinlich, dass mehr Nachrichten über die Weltraumforschung in Afrika auch neue Interessen wecken. Beim Vergleich mit dem US-amerikanischen Kontext muss man allerdings bedenken, dass die Erforschung des Weltraums mit Vorstellungen verknüpft ist, die tief im imperialen und kolonialen Denken verwurzelt sind. Im Grunde wird die Astronomie von den Fragen „Woher kommen wir?“ und „Wer sind wir als Menschen?“ angetrieben. Die nationalpolitische Auslegung dieser Fragen stellt die Idee der „Eroberung“ anderer Planeten in den Vordergrund und hat ihre Wurzeln in dem Bestreben, fremdes Territorium zu besetzen und als nationalen Raum zu beanspruchen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Motivation für viele Afrikaner*innen problematisch, zumindest aber befremdlich ist. Daher müssen die Verantwortlichen des SKA-Projekts sehr darauf achten, dass sie diese neo-koloniale Erzählung nicht wieder aufgreifen, wenn sie in der Öffentlichkeit über die Agenda und Ziele dieses Vorhabens sprechen. Die Aussicht auf einen Arbeitsplatz bei SKA oder bei einem daraus hervorgehenden Projekt wird allein nicht ausreichen, um das Engagement zu fördern und der lokalen Bevölkerung Identifikationsflächen zu bieten. Dies könnte letztlich auch über den Erfolg oder Misserfolg des Projekts entscheiden.

Gibt es möglicherweise spezifisch afrikanische Sichtweisen auf kosmologische Themen?

I.T.: Ja. Es gibt zum Beispiel in Westafrika und in Ägypten komplexe astronomische Geschichte, die weit vor Galileo Galilei zurückreicht. In Südafrika sind viele dieser Kenntnisse aufgrund der Kolonialvergangenheit und der Schäden, welche die Apartheid angerichtet hat, verschüttet und manchmal verloren gegangen. Die Ethnoastronomie hat sich mittlerweile als eine wissenschaftliche Disziplin etabliert, die diese Wissensbestände systematisch erforscht. Der südafrikanische Astrophysiker Thebe Medupe ist Mitproduzent eines faszinierenden Films mit dem Titel "Cosmic Africa", der sensibel und unterhaltsam in das Thema einführt.

Bereits im Januar 2020 haben Sie gemeinsam mit afrikanischen Wissenschaftlern einen Workshop zum "Square Kilometre Array" im Rahmen des Bayreuther Projekts "SKAnning Space from Africa: Seeing and Be-coming". Die Vorträge und Diskussionen verknüpften astrophysikalische und technologische Aspekte mit sozialen, kulturellen und medienwissenschaftlichen Fragen. Was waren die wichtigsten Ergebnisse dieses Workshops? Spielte dabei auch das große Thema "Dekolonisierung" eine Rolle?

I.T.: Dieser Workshop, initiiert von meiner Kollegin Hanna Nieber, die jetzt in Halle arbeitet, war wirklich transdisziplinär und hat engagierte Wissenschaftler*innen in oftmals inspirierenden Diskussionen zusammengebracht. Wir haben die Berührungspunkte unserer disziplinären Interessen rund um das SKA erkundet. Daraus sind nicht nur einige sehr interessante Veröffentlichungen hervorgegangen, sondern wir haben auch eine internationale Forschungsgruppe mit dem Namen „Africa-Off-Earth-Network“ – kurz AOEN – gegründet. Dekolonisierung ist für uns kein einzelnes isoliertes Forschungsthema, kein abzuhakender Tagesordnungspunkt, sondern die gemeinsame Grundlage unsere verschiedenen, von den jeweiligen Disziplinen geprägten Interessen. Wir bearbeiten soziologische, soziolinguistische und anthropologische Fragestellungen, beleuchten aber beispielsweise auch die politische Verantwortung der afrikanischen Astronom*innen, die eng mit SKA zusammenarbeiten.

Werden diese Themen auch weiterhin im Rahmen des Exzellenzclusters "Africa Multiple" behandelt?

I.T.: Das hoffe ich sehr. Die Verknüpfung von Technologie und indigenem afrikanischem Wissen sollte eines der zentralen Anliegen bei Clusterprojekten sein. Das SKA-Projekt bietet hierfür ein einzigartiges Forschungsfeld, aber es braucht natürlich auch engagierte und kompetente Wissenschaftler*innen, die entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen vorantreiben.

Sie und andere Mitglieder der Bayreuther Afrikastudien sind Mitglieder in dem von Ihnen bereits erwähnten "Africa-Off-Earth Network". Was sind die langfristigen Ziele dieser Zusammenarbeit?

I.T.: SKA ist weltweit das größte Wissenschaftsprojekt, das sich derzeit im Aufbau befindet. Wir wollen es nachhaltig und langfristig aus der Perspektive der Afrikastudien begleiten. Dabei beziehen wir Disziplinen wie Philosophie, Wissenschafts- und Technikforschung oder Astrophysik mit ein. Die Stärke unseres neu gegründeten Netzwerks ist die transdisziplinäre und internationale Zusammensetzung. Die Idee ist, dass unsere verschiedenen Forschungsperspektiven und -interessen rund um das SKA in ihrer Gesamtheit dazu beitragen werden, Klarheit über die gesellschaftliche Verortung der Weltraumforschung zu gewinnen und aus afrikanischen Perspektiven neue Narrative über die Beziehung der Menschheit zum Universum auf den Weg zu bringen.

Weitere Informationen:

„Square-km scope shows African astronomers bright future" (Sci-Div.net):
https://www.scidev.net/sub-saharan-africa/news/square-km-scope-shows-african-astronomers-bright-future

„Development in astronomy and space science in Africa“ (Nature):
https://www.nature.com/articles/s41550-018-0525-x

„Karoo Futures: Astronomy in Place and Space – Introduction“ (Journal of Southern African Studies):
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/03057070.2019.1654664

„Indiscipline as Method: From Telescopes to Ventilators in Times of Covid“ (Sabinet African Journals):
https://journals.co.za/doi/abs/10.4314/ft.v10i3.6

Homepage of the „Africa-Off-Earth- Network“:
https://africa-off-earth.net/news/

Dr. Irina Turner

Dr. Irina TurnerAfrikanistik - Mitglied des Exzellenzclusters "Africa Multiple" - Universität Bayreuth

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Christian WißlerStellvertretender Pressesprecher - Wissenschaftskommunikation, Universität Bayreuth

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