Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Wissenschaft und Unternehmen in gemeinsamer Verantwortung 

Im Juni 2021 haben das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und führende Unternehmen in Deutschland einen ethischen Kodex veröffentlicht. Es geht darin um die Verantwortung von Unternehmen auf dem Gebiet der Digitalisierung, die Corporate Digital Responsibility, kurz: CDR. Die Entstehung dieses Kodex haben Sie beide in enger Abstimmung mit den beteiligten Unternehmen wissenschaftlich begleitet. Im Januar 2022 hat dann die Ampelkoalition die Zuständigkeit für Fragen des Verbraucherschutzes dem Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV) übertragen. Vor kurzem haben Sie in Berlin an einer vom BMUV veranstalteten Konferenz zur CDR teilgenommen. Was versteht man eigentlich genau unter Corporate Digital Responsibility?

Alexander Brink (AB): Die Gewinnung, Speicherung, Auswertung und Übermittlung von Daten ist heute die Grundlage einer wachsenden Zahl von Geschäftsmodellen. Das gilt für innovative Start-ups ebenso wie für mittelständische Unternehmen oder multinationale Konzernen. Die großen Datenmengen, mit denen die Unternehmen arbeiten, betreffen individuelle Personen, andere Unternehmen, zivilgesellschaftliche Organisationen, staatliche Einrichtungen und vieles mehr. Aus dieser Entwicklung resultieren erhebliche ethische Herausforderungen, die nicht allein durch das Zivil- oder Strafrecht geregelt werden sollten und auch nicht geregelt werden können. Noch wichtiger sind ethisches Bewusstsein und eigenverantwortliches Handeln. Der 2021 veröffentlichte CDR-Kodex, verbunden mit einer Selbstverpflichtung führender Unternehmen, war daher wegweisend für die künftige Entwicklung.

Um welche Fragen ging es bei der CDR-Konferenz im Sommer 2022?

Frank Esselmann (FE): Die sieben Vorreiter-Unternehmen, die 2021 an der Veröffentlichung des Kodex beteiligt waren und sich zu ihrer Digitalverantwortung bekannt haben, stellten im Rahmen der Konferenz erstmals eigene CDR-Berichte vor. Die Deutsche Telekom, ING Deutschland, die Otto Group, Telefónica Deutschland, Zalando, die Barmer Ersatzkasse und Weleda dokumentieren darin, was sie konkret getan haben und in Zukunft tun wollen, um ihrer umfassenden Digitalverantwortung gerecht zu werden. Damit haben sie auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle übernommen. Viele Unternehmen, nicht nur in Deutschland, äußern sich mittlerweile zu ihrer Digitalverantwortung, tun dies in der Regel aber selektiv und sporadisch. Die während der Konferenz präsentierten Berichte sind mit ihren fünf Handlungsfeldern (Umgang mit Daten, Bildung, Einbindung von Mitarbeitenden, Inklusion sowie Klima- und Ressourcenschutz) die ersten ganzheitlich und auf Kontinuität ausgerichteten CDR-Berichte weltweit. Mit ihrer transparenten Form der Kommunikation setzen die sieben Unternehmen neue Maßstäbe.

AB: Die Konferenz hat gleichzeitig gezeigt, wie eng die digitale Unternehmensverantwortung heute mit Herausforderungen verknüpft sind, die zur nachhaltigen Gestaltung von Unternehmensprozessen erforderlich sind. Nachhaltige Transformation und digitaler Wandel sind Zwillinge, die auf strategischer Ebene nicht zu trennen sind. Es ist eine Zwillingstransformation aus Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die heute in allen Industriegesellschaften auf der Tagesordnung steht.

Welche Rolle kann und sollte die Politik dabei spielen?

AB: An der Konferenz hat seitens des BMUV auch der Parlamentarische Staatssekretär Christian Kühn teilgenommen. Er betonte völlig zu Recht das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft, das bereits wichtige Impulse zur Umsetzung des CDR-Kodex gesetzt hat. Aus seiner Sicht muss sich die Politik einer doppelten Aufgabe stellen: Sie soll sich einerseits als Taktgeberin für den nachhaltigen sozial-ökologischen Wandel verstehen und dafür einen guten regulatorischen Rahmen schaffen, aber sie darf andererseits die Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt entlassen. Die BMUV-Staatssekretärin Dr. Christiane Rohleder, die gleichfalls anwesend war, forderte, dass sich jetzt auch weitere Unternehmen des Themas CDR annehmen sollten. Auch hierfür bieten die vorgelegten Berichte Hilfestellung und Orientierung. Sie enthalten viele Anregungen für Unternehmen, die aus Zeit- oder Kostengründen bisher davor zurückgewichen sind.

FE: Die Anknüpfungspunkte für andere Unternehmen ergeben sich daraus, dass die Berichte ausgesprochen praxisnah gestaltet sind. Dieser Aspekt ist aus meiner Sicht besonders erfreulich: Es ist manches darin enthalten, was man in der Öffentlichkeit bislang so nicht lesen konnte – zum Beispiel, wie CDR in den Unternehmen so verankert werden kann, dass sie von der Unternehmensleitung sowie von allen Beschäftigten als eine Daueraufgabe begriffen und angenommen wird. Eine ganze Reihe von Unternehmen strebt mittlerweile einen Beitritt zur CDR-Initiative an.

Können auch Universitäten etwas dafür tun, dass Digitalverantwortung in der Wirtschaft kein abstraktes Ideal bleibt?

AB: Die Universität Bayreuth ist auch in dieser Hinsicht ein Pionier in der Hochschullandschaft. Vor kurzem feierte unser Programm „Philosophy and Economics“ sein 20jähriges Jubiläum. Darin vermitteln wir unseren Studierenden nicht nur in der Theorie, sondern auch an aktuellen Beispielen aus der Praxis, wie eng unternehmerisches Handeln mit Ethik und sozialer Verantwortung verknüpft ist. Forschung, Lehre und Wissenstransfer greifen dabei nahtlos ineinander: Unser Ziel ist es, innovative Konzepte an der Schnittstelle von Ethik und Management zu erforschen, in die Lehre einzubinden und letztlich auch in die unternehmerische Praxis zu überführen. Um diese Transferleistungen aus der Wissenschaft in die Wirtschaft geht es auch in dem von mir geleiteten iLab Ethik und Management.

FE: In den letzten Jahren habe ich mit Unternehmen verschiedenster Branchen zusammengearbeitet – sowohl in Fragen der sozialen und ökologischen Verantwortung als auch im Hinblick auf die rasant fortschreitende Digitalisierung und Big Data. Daher kann ich aus Erfahrung sagen: Ethik hat Hochkonjunktur. Mit ihrem Programm „Philosophy and Economics“ ist die Universität Bayreuth bestens aufgestellt, um die Diskussion der anstehenden wirtschaftsethischen Fragen voranzubringen. Es ist Zeit, dass Wissenschaft sich den realen Herausforderungen stellt und mit Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft gemeinsam nach Lösungen sucht.

Zur CDR-Konferenz und den dort vorgestellten Unternehmensberichten:
Aufzeichnung der CDR Konferenz 2022: https://www.bmuv.de/media?tx_bmubmedia_media%5Bmedia%5D=1701&cHash=98d2f9dbcd1b94169bc41fcbefb0ff71

Pressemitteilung des Bundesumwelt- und -Verbraucherschutzministeriums vom 28. Juni 2022: https://www.bmuv.de/pressemitteilung/cdr-konferenz-2022

CDR-Berichte zum Download: https://cdr-initiative.de/news/die-cdr-berichte-2022-sind-online

Prof. Dr. Dr. Alexander Brink

Prof. Dr. Dr. Alexander BrinkWirtschafts- und Unternehmensethik, Universität Bayreuth

Frank Esselmann

Dr. Frank Esselmannconcern GmbH, Köln

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