Ungesundes Essen ist zu billig, gesundes zu teuer!
Die Ernährungssoziologin Prof. Dr. Tina Bartelmeß beschäftigt sich an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Bayreuth mit dem Phänomen der Ernährungsarmut. UBTaktuell hat mit Prof. Bartelmeß darüber gesprochen.
Obst und Gemüse sind gesund, minderwertige Fleisch- und Wurstwaren, Fertigessen und Zuckerbomben sind ungesund. Beim Preis ist es meistens so, dass gesunde Lebensmittel teuer und ungesunde günstiger sind. Aber: Aufgrund der Preissteigerungen in den letzten Jahren und den geringen Anpassungen des Sozialhilfe-Satzes, dürfte es für Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen aktuell noch schwieriger sein, eine gesundheitsförderliche Ernährung sicherzustellen, zumal auch die stark gestiegenen Energiekosten aus dem Budget bestritten werden müssen.
Dass Ernährungsarmut real existiert, legt unter anderem eine Untersuchung des Robert Koch Instituts* nahe. Demnach sind „Kinder und Jugendliche der Armutsrisikogruppe (…) deutlich häufiger in ihrer Gesundheit beeinträchtigt als Gleichaltrige aus der mittleren und vor allem aus der hohen Einkommensgruppe, ihr Gesundheitsverhalten ist ungünstiger“.
UBTaktuell: Wie teuer ist es hierzulande, sich gesund zu ernähren? Wie einfach?
Prof. Dr. Tina Bartelmeß: In Deutschland wird die Einschätzung der Ernährung als gesund meist daran bemessen, ob eine Ernährungsweise den Empfehlungen von Fachorganisationen entspricht, bspw. den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung** (DGE). Nach diesen Empfehlungen ist es v.a. gesund, einen großen Anteil Obst und Gemüse in die tägliche Ernährung zu integrieren. Genau diese Lebensmittel unterlagen zuletzt deutlichen Teuerungen auf dem deutschen Markt. Es gibt nicht viele Studien dazu, Hinweise – wenn auch schon ältere - gibt aber die Einkommens- und Verbraucherstichprobe von 2003. Sie zeigt, dass die Kosten für eine gesündere, vollwertige Ernährung bei 43,46 Euro pro Person und Woche lagen, die Kosten für eine durchschnittliche Ernährung nur bei 29,86 Euro. Man muss das vor dem Hintergrund der Preisentwicklungen und der Inflation sehen: Die Nahrungsmittelpreise sind alleine zwischen 2022 und 2023 um 13,7 Prozent gestiegen. Das in Relation zum Budget von Bürgergeldempfänger*innen in 2023 (40,25 Euro pro Woche) zeigt: Eine gesunde Ernährung, die ausreichend Makro- und Mikronährstoffe enthält, sodass sie den Bedarf deckt und präventiv gegenüber ernährungsassoziierten Erkrankungen wirkt, ist mit einem geringen Budget nicht realisierbar ist. Energiedichte, aber nährstoffarme Lebensmittel sind vergleichsweise preisgünstig, womit eine ernährungsphysiologisch ungünstigere Lebensmittelauswahl zumeist mit niedrigeren Kosten verbunden ist.
Wie könnte man dem begegnen?
Aufgrund der Preissteigerungen in den letzten Jahren und den geringen Anpassungen des Sozialhilfe-Satzes, dürfte es für Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen aktuell noch schwieriger sein, eine gesundheitsförderliche Ernährung sicherzustellen, zumal auch die stark gestiegenen Energiekosten aus dem Budget bestritten werden müssen. Ein Monitoring der Lebensmittelpreise als Referenz für die dynamische Anpassung der Sozialhilfe-Regelsätze und Einmalzahlungen könnten eine gesunde Ernährung ermöglichen. Eine ernährungspolitische Maßnahme wäre zudem eine Mehrwertsteuersenkung für Obst und Gemüse, welche die Erschwinglichkeit dieser Lebensmittel erhöhen würde. Auch über eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für ungesunde Lebensmittel, wie bspw. qualitativ minderwertiges Fleisch und Wurstprodukte oder stark zuckerhaltige Produkte könnte die Ernährungsweisen insgesamt in gesündere Richtungen lenken. Ein wesentlicher Aspekt ist auch die Schulverpflegung. Die die Zertifizierung nach DGE-Standards der Schulverpflegung ist flächendeckend in Deutschland nicht umgesetzt. Kostenvergünstigungen für sozial benachteiligte SchülerInnen werden häufig nicht in Anspruch genommen, weil die nötigen Informationen nicht zu den Eltern vordringen oder Überforderung bei der Beantragung besteht. Niedrigschwellige Informationsbereitstellung und Unterstützungsangebote bei der Bewältigung der bürokratischen Hürden wären hilfreich.
Welche Folgekosten hat ungesunde Ernährung?
Sowohl Kinder als auch Erwachsene mit niedrigem sozioökonomischem Status konsumieren bspw. häufiger zuckerhaltige Erfrischungsgetränke und Fleisch- und Wurstwaren und weniger Obst und Gemüse als Personen mit höherem sozioökonomischem Status. Demzufolge ist die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas in den niedrigeren Sozialschichten deutlich höher. Ebenso ist die Verbreitung weiterer ernährungsassoziierter Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und Herz- Kreislauferkrankungen sowie Beeinträchtigungen im psychischen Gesundheitszustand höher. Und auch die mittlere Lebenserwartung bei Geburt ist in niedrigen Einkommensgruppen geringer: Die Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten Einkommensgruppe liegt bei Frauen bei 4,4 Jahren und bei Männern bei 8,6 Jahren. Die soziale Ungleichheit in den Verwirklichungschancen einer ausgewogenen und auch nachhaltigen Ernährung mit geringen Folgekosten für die Umwelt geht zu Ungunsten der niedrigeren Schichten folglich mit einem höheren Erkrankungs- und vorzeitigem Sterberisiko einher.
Haben Sie eine Erklärung, warum das Thema politisch ignoriert wird?
Es fehlen repräsentative Erhebungen, die Ernährungsarmut multidimensional betrachten. Bisherige Beschreibungen berücksichtigen meist nur Unterschiede im Ernährungsverhalten nach sozioökonomischen Charakteristika. Gemäß diesem Ansatz verhalten sich armutsbetroffene Personen häufiger risikoreich und weniger gesundheitsfördernd, was einhergeht mit ihren Einstellungen und ihrem Wissen. Die gesundheits- und ernährungspolitische Aufmerksamkeit richtet sich daher meist auf die Kompetenzsteigerung sozioökonomischer, sogenannter „vulnerabler“ Gruppen mit der Hoffnung, dass diese ihr Risikoverhalten minimieren. Eine umfassendere Betrachtung des Ernährungsverhaltens in Armut und seiner Gründe und Zielkonflikte bspw. in Bezug auf andere, temporär wichtigere Haushaltsaufwendungen als Ausgaben für gesunde Lebensmittel, bleibt bisher aus. Dies spiegelt sich auch in der politischen Aufmerksamkeit wider. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass dadurch verschiedene Formen der Stigmatisierung in Zusammenhang mit Ernährungsarmut aufrechterhalten und bestärkt werden. Dadurch werden bei Betroffenen wiederum die sozialen, kulturellen und psychischen Dimensionen der Ernährung beeinträchtigt, was sich in der Folge noch zusätzlich auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden armutsbetroffener Personen auswirken kann.