
Ungleichheit im Tarifvertrag – zur „Jahrhundertentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts
Die Universität Bayreuth war jüngst Gastgeberin einer hochkarätig besetzten Fachtagung zur gleichheitsrechtlichen Kontrolle von Tarifverträgen. Im Zentrum der Diskussion stand ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2024, das erstmals eine unmittelbare Bindung der Tarifparteien an den Gleichheitssatz des Grundgesetzes bestätigte.
Am 24. Oktober 2025 fand an der Universität Bayreuth eine Fachtagung zur gleichheitsrechtlichen Kontrolle von Tarifverträgen statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Inken Gallner und Professor Dr. Adam Sagan, MJur (Oxon), Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, europäisches und deutsches Arbeitsrecht an der Universität Bayreuth.
Im Mittelpunkt stand die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Dezember 2024, die erstmals eine unmittelbare Bindung der Tarifparteien an den Allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bejahte. Diskutiert wurden insbesondere die Reichweite der gleichheitsrechtlichen Kontrolle, die primäre Korrekturkompetenz der Tarifparteien sowie die Folgen für das Unionsrecht, das bei Diskriminierungen bislang nur eine „Anpassung nach oben“ kennt.
Adam Sagan begrüßte insgesamt rund 70 Teilnehmende vor Ort, unter ihnen Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Anwaltschaft. Besonders groß war das Interesse aus den Reihen der Arbeitsgerichtsbarkeit. Fünf Senate des Bundesarbeitsgerichts und die Präsidentinnen und Präsidenten von vier Landesarbeitsgerichten waren vertreten.
Den Auftakt machte Professor Dr. Martin Eifert, LL.M. (Berkeley), Richter des Bundesverfassungsgerichts und Berichterstatter der benannten Entscheidung. In einem klar strukturierten Beitrag erläuterte er, wie sich aus dem komplexen arbeitsrechtlichen „Viereck“ von Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arbeitgeberverband und Gewerkschaft eine unmittelbare Bindung der Tarifparteien an den Gleichheitssatz ergibt.
Anschließend diskutierte Professorin Dr. Dres. h.c. Monika Schlachter (Universität Trier, IAAEU) die europarechtliche Dimension der Thematik. Sie machte deutlich, dass nach dem Unionsrecht die Mitgliedstaaten, einschließlich der nationalen Gerichte, sowie alle anderen Normsetzer und daher auch die Tarifvertragsparteien zur Gleichbehandlung verpflichtet seien. Die primäre Befugnis der Tarifvertragsparteien, eine Ungleichbehandlung in einem Tarifvertrag zu korrigieren, finde in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Entsprechung.
Eine systematische Einordnung nahm Professor Dr. Stefan Greiner (Universität Bonn) vor. Er legte dar, dass sich die Tarifautonomie teils aus staatlicher Delegation, teils aus der Mitgliedschaft in den Verbänden ableitet. Nur aufgrund einer solchen Kombination lasse sich die unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifparteien nachvollziehbar erklären.
Professor Dr. Daniel Ulber (Universität Trier, IAAEU) beleuchtete die praktischen Probleme, die sich aus der primären Korrekturkompetenz auf der Ebene des deutschen Rechts ergeben. Nach seiner Auffassung sollte nur das Bundesarbeitsgericht den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einräumen, gleichheitswidrige Tarifnormen zu korrigieren. Eine Friedenspflicht ergebe sich aus dem zu korrigierenden Tarifvertrag nicht mehr.
Die Abschlussdiskussion zwischen Roland Wolf (BDA) und Dr. Grégory Garloff (NGG) moderierte Dr. Katja Gelinsky, LL.M. (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Die Diskussion verdeutlichte, dass die praktische Umsetzung des Richterspruchs aus Karlsruhe für die Sozialpartner mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist. Weitere Herausforderungen für die Tarifautonomie ergäben sich aus der im nächsten Jahr umzusetzenden EU-Entgelttransparenzrichtlinie.
In ihrem Schlusswort erinnerte Inken Gallner an die wirtschaftlichen und politischen Krisen der vergangenen Jahre. Rechtsstaat und Demokratie seien sowohl in der Europäischen Union als auch in Deutschland gefährdet. Sie appellierte mit Ruprecht Polenz: „Tu was!“.


