Konsequenzen der EU-Nachhaltigkeitspolitik auf den Lebensmittelsektor
Prof. Dr. Kai Purnhagen beschreibt die "Farm to Fork"-Strategie der EU-Kommission und analysiert ihre Auswirkungen für die Lebensmittelbranche und Verbraucher*innen.
Das „Farm to Fork“ (F2F) Konzept der EU soll den Lebensmittelmarkt in der EU nachhaltiger machen. Das wirkt in viele Sektoren, von der Landwirtschaft bis zur Lebensmittelkennzeichnung, und das ruft auch Kritik hervor: Da Klimaschutz im Vordergrund steht, kommen mehr Belastungen und Verpflichtungen auf Landwirte, Erzeuger und Produzenten zu. Auch auf den Verbraucher durch Verteuerung bestimmter Lebensmittel oder sogar Knappheit und die Notwendigkeit zum Umdenken. Nicht jedem gefällt es, vom täglichen Wurstverzehr Abstand zu nehmen.
Prof. Dr. Kai Purnhagen, Lebensmittelrechtler an der Universität Bayreuth, ist nicht nur als wissenschaftlicher Berater der EU-Kommission tätig, er ist auch am Review von Berichten für die Kommission zur Umsetzung der Farm to Fork Strategie - wie zuletzt dem „Towards sustainable food consumption“-Report (https://sapea.info/topic/food-consumption/) - beteiligt. Wir haben ihn zum dem Thema befragt.
UBTaktuell: Was konkret bedeutet die F2F Strategie?
Prof. Dr. Kai Purnhagen: F2F steht für „Farm to Fork”, also vom Bauernhof auf den Tisch. Damit ist eigentlich ein in der EU längt gängiges Regulierungskonzept unserer Lebensmittel angesprochen, welches den gesamten Lebenszyklus eines Lebensmittels umfasst und nicht nur den Teil, den der Endverbraucher sieht. Die Kommission hat nun ihr Strategiepapier dazu genutzt, dieses Konzept zu einem umfangreichen Programm auszubauen, welches nicht nur die Regulierung der Wertschöpfungskette der Lebensmittel in den Mittelpunkt stellt, sondern das Lebensmittelsystem als Ganzes. Es soll also ganzheitlich hin zu mehr Nachhaltigkeit aller Systeme, die an der Lebensmittelproduktion beteiligt sind, reguliert werden.
Welche Konsequenzen hat das für den Verbraucher?
Die EU möchte im Rahmen der Regulierung nicht mehr nur auf die konkrete Verbraucherentscheidung abzielen - also bspw. „Welche Informationen braucht der Verbraucher für seine Entscheidung?“, sondern auch auf die Umgebung und die Bedingungen, unter denen er eine solche Entscheidung trifft. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, da dieser Ansatz doch eher der Realität entspricht. Allerdings muss man auch bedenken, dass solche regulatorischen Eingriffe immer eine Entscheidung über ein regulatorisches Ziel voraussetzen. Dies waren in der Vergangenheit im Lebensmittelrecht unstreitig der Gesundheitsschutz, der Erhalt der Vielfalt des Angebots und der Schutz vor Fehlinformation der Verbraucher. Wenn nun die Nachhaltigkeit als wesentliches Regulierungsziel hinzukommt, bleibt abzuwarten, wie sich diese Ziele dann miteinander verhalten. Ohne Reibungen wird das nicht gehen.
Welche Konsequenzen erwarten Sie für die Lebensmittelindustrie?
Die Industrie wird sich in vielen Bereichen auf mehr Standards und mehr Kontrollen einstellen müssen. Das wird sich in den Verbraucherpreisen niederschlagen. Dann wird sich zeigen, wieviel tatsächlich hinter den Lippenbekenntnissen zu mehr Nachhaltigkeit und besserem Schutz der Menschenrechte in den Lieferketten steckt. In Bezug auf die neuen Regulierungen würde ich der Branche raten, möglichst den sogenannten "first mover advantage" zu nutzen. Statt bis zur letzten Minute mit der Implementierung zu warten und sich darüber zu beklagen, wird es sicher sinnvoller sein, verlorene Kämpfe zu akzeptieren und schnell Erfahrungen mit der neuen Situation zu sammeln. Das schafft einen Wettbewerbsvorteil denen gegenüber, die sich erst später auf die neuen Regelungen einstellen.
F2F wurde 2020 veröffentlicht, was hat sich seither getan?
Es wurde viel diskutiert und evaluiert, vieles ist im Fluss. In der Wissenschaft schaut man nun genauer auf die Auswirkungen der Veränderungen, da sich einfach mehr Menschen damit beschäftigen. Das ist sicher eine gute Entwicklung. Im Recht gab es nun einige Gesetzesvorhaben, wie beispielsweise der Vorschlag zur Regulierung der Genomeditierung und der Entwaldungsverordnung.
Der jüngste Report dreht sich um Konsumentenverhalten. Wie sprechen die Menschen auf die Appelle „Weniger Fleisch, mehr Pflanzliches“ zum Beispiel an? Wie kann man sie dazu bewegen, das mehr zu berücksichtigen? Nur über den Preis?
Die Studienlage hier ist sehr heterogen, wie immer kommt es darauf an, wie die Daten erhoben wurden. Preis ist immer ein wesentlicher Faktor. Aber auch Geschmack, Konsistenz und Verfügbarkeit spielen eine große Rolle. Es scheint allerdings so zu sein, dass Akzeptanz immer dann hoch ist, wenn die neuen Produkte möglichst den bekannten gleich sind. „Innovation“ an sich ist kein wirklicher Verkaufsschlager. Kann die Innovation aber mit etwas Bekanntem verglichen werden und schmeckt die Innovation dann auch noch besser, dann besteht eine gute Chance. Es gibt allerdings auch Ausnahmen: Ständige Verfügbarkeit mit gutem Marketing kann auch neuen Produkten zum Durchbruch verhelfen.


