UBTaktuell: Sie waren ja schon häufiger in Bayreuth, meist um Ihr Wissen als Physiker mit Kollegen auszutauschen. Jetzt kommen Sie, wenn man so will, in neuer Mission, nämlich um bei der akademischen Jahresfeier den Festvortrag zu halten. Sie sprechen über die Natur und es soll darin auch und vor allem um die Wissenschaftskommunikation gehen. Warum ist ihnen denn das Thema so wichtig?
Harald Lesch: Das letzte Mal, als ich in Bayreuth war, habe ich auf Einladung der 'Students for Future' einen Vortrag gehalten über Klimawandel. Offen gestanden spreche ich schon seit über einem Jahrzehnt über fast nichts anderes mehr als über Klimaforschung und Energiewende. Warum? Weil ich das Thema für unglaublich relevant erachte. Erstens, weil es natürlich den thermodynamischen Aggregatszustand unseres Planeten beschreibt. Zum anderen aber ärgert es mich, dass dieses Thema in der Gesellschaft dermaßen falsch diskutiert wird. Dass es überhaupt noch jemanden gibt, der den Klimawandel leugnet, ist mir völlig unverständlich. Wer das tut, könnte genauso gut behaupten, dass die Sonne nicht im Osten aufgeht, sondern im Westen; oder dass das Periodensystem nicht stimmt oder irgendwelches anderes dummes Zeug. Nein, beim Klimawandel handelt es sich um eine naturwissenschaftlich nachgewiesene Tatsache, keine Glaubensfrage. Vor etlichen Jahren, als die Amerikaner zum ersten Mal Donald Trump gewählt haben, wurde ja der Begriff der alternativen Fakten geprägt. Und das scheint mir eine demokratiezerstörende Waffe zu sein. Dagegen stemme ich mich mit allem, was mir zur Verfügung steht – als Wissenschaftler und als Journalist…
… womit Sie, vermute ich mal, durchaus auch anecken.
Das ist mir egal. Weil ich mich der Wahrheit verpflichtet fühle. Die haben mich ja sicher nicht zum Professor gemacht und mich jetzt fast 30 Jahre alimentiert, um hier jetzt den Schwanz einzuziehen. Das wäre nicht mein Ding. Und ich würde mir auch wünschen, dass mehr meiner Kolleginnen und Kollegen klare Positionen beziehen und vor allen Dingen dafür sorgen, Missverständnisse auszuräumen und Sachverhalte zu klären. Das wird auch ein Thema in dem Vortrag sein, den ich in Bayreuth halten werde - dass ich nämlich leider eine schweigende Forschungslandschaft erlebe, an Forschungsinstituten genauso wie an Universitäten. Dabei werden diese Menschen von der Gesellschaft alimentiert. Wer aber schweigt und nicht das Wort erhebt, wenn Deutschland oder der Kontinent Europa sozusagen mit offenen Augen in so eine Falle tappt, wird seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Wissenschaft darf sich nicht damit abfinden, dass das gesamte Netz – und das ist ja heute nun mal die wesentliche mediale Informationsquelle – mit Scheiße geflutet wird (sorry für das Wort!). Das kann und darf nicht sein. Dagegen müssen wir uns wehren.
Glauben Sie, dass die, die den Klimawandel bezweifeln, durch die Ankündigungen und Aussagen von Donald Trump sich noch bestätigt fühlen?
Na ja klar! Ich bin auch richtig besorgt wegen der nächsten Bundestagswahl. Da wird es natürlich auch wieder darum gehen, eine andere Energiepolitik zu machen, was ja eigentlich alles Blödsinn ist. Wir sehen ja, wie die Ausbauzahlen bei Photovoltaik sind, auch bei den Windkrafträdern. Wir sehen, wir haben 60 % Strom aus erneuerbaren Quellen. Überall auf der Welt gehen die Erneuerbaren durch die Decke. Nur hier in Deutschland sollen wir jetzt auf einmal die Kehrtwende einleiten? Auch in den USA wird man in Zukunft keine Kohle mehr verbrennen. Warum sollte man das auch tun? Die kWh Kohlestrom ist viel zu teuer, die kWh Kernkraft ist viel zu teuer. Also hören wir doch endlich auf damit, uns an irgendwelchem Altkram festzuhalten.
Die Corona-Pandemie hat die Welt verändert, ein großes Stück weit auch die Wissenschaftskommunikation. Sie selber hatten im März 2020 sogar von einer „Revolution der Wissenschaftskommunikation“ gesprochen. Vier Jahre danach: Was ist von dieser Revolution übriggeblieben?
Ja, es wäre die große Chance gewesen, das zu revolutionieren. Leider Gottes hat sich aber 2021 herausgestellt, dass wir nicht sehr erfolgreich damit waren, der Bevölkerung klar zu machen, wie Wissenschaft funktioniert. Die Leute waren total verunsichert. Dabei sind Fragen, Zweifel, Debatten Teil der wissenschaftlichen Forschung: Wenn man noch nicht genau weiß, wie die Dinge zusammenhängen, dann muss man sich vorantasten, suchen, forschen. Nur leider sind die Menschen diesen Suchprozess nicht mitgegangen; sie wollten immer gleich die absolute Wahrheit haben. Und so hat zum ersten Mal die Gesellschaft live erlebt, wie Wissenschaft tickt, fragt und sucht. Ohne eben gleich alles zu wissen. Gleichwohl glaube ich, dass die Bevölkerung unverändert ein großes Vertrauen in die Wissenschaft hat. Sonst würden die Leute auch nicht mehr zum Augenarzt gehen, würden sich mit dem Laser behandeln lassen, würden sich nicht mehr in ICEs setzen oder ins Flugzeug steigen. Denn all diese Technologien sind ja wissenschaftsgetriebene Technologien und nicht irgendeine Spukerei von irgendeinem Schamanen. Wobei man nicht vergessen darf, dass es noch immer Menschen gibt, die bei einer Tumorerkrankung glauben, sie könnten das mit Globuli behandeln. Das ist natürlich alles Bullshit. Umso mehr müssen Wissenschaftler sicherstellen, dass die Menschen nicht irgendwelchen Rattenfängern auf die Leimspur gehen. Deswegen ist es wichtig, dass Wissenschaft präsent ist, dass Wissenschaft Freude macht und dass diese Freude auch präsentiert wird.
Wissenschaft kann Freude auslösen?
Aber klar! Es geht nicht nur um die Inhalte, sondern auch um Human Touch. Und wenn mir eine Schulklasse aus der Realschule sagt: „Dir glauben wir, du bist ein Ehrenmann“, dann ist das der größte Orden, den ich je kriegen kann. Da habe ich fast angefangen zu heulen. Am Ende geht es um die Werte, nach denen wir leben. Und das sind große Debatten. Ich würde mir wünschen, dass wir auch mal bei so einer Festveranstaltung wie in Bayreuth mal über solche Themen sprechen. Ich jedenfalls halte es für unglaublich wichtig, in einem Land, das so sehr auf Wissenschaft und Forschung angewiesen ist, dass Wissenschaft und Forschung unter die Leute kommt, dass die Universitäten die Fenster aufmachen, wie Papst Johannes XXIII. das mal gesagt hat, dass endlich mal frischer Wind in die Universitäten kommt und auch Bevölkerung gewissermaßen Forschung induzieren könnte. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass die Wissenschaft sich um Themen kümmert, die die Menschen betreffen.
Glauben Sie, dass die Wissenschaft, pauschal gefragt, auch die richtigen Lehren aus dieser Corona-Zeit und den Prozessen und der Kritik, die es ja auch gab. Es gab ja nicht wenige Wissenschaftler, die wirklich schlimme Shitstorm- Erfahrungen gemacht haben…
Stimmt. Das Schlimme ist ja, dass inzwischen in der Gesellschaft schlechte Manieren weit verbreitet sind. Das ist nicht mehr hinnehmbar. In der Tat hätte man gerade diejenigen, die überhaupt keine Erfahrung mit der Kommunikation im öffentlichen Raum haben, schützen müssen. Stattdessen haben wir die voll dem öffentlichen Geschützfeuer ausgesetzt. Das hätte man nie zulassen dürfen. Niemals. Da haben wir als Wissenschaftscommunity versagt. Wir hätten uns vor die Kolleginnen und Kollegen stellen und die Probleme von allen Seiten her beleuchten müssen.
An der Universität Bayreuth wird der interdisziplinäre Ansatz seit langem und überaus erfolgreich gepflegt und angewandt wird. Gerade auch bei einem so herausfordernden Forschungsbereich wie der Künstlichen Intelligenz.
Ja, bei KI spielt auch der Angstfaktor eine gewisse Rolle: Man ahnt einfach überhaupt nicht, was sich in diesen Kästen alles abspielt. Bis jetzt wussten wir immer, und zwar haarklein genau, was die Maschinen machen. Und jetzt, auf einmal, haben wir uns damit auseinanderzusetzen, dass sich das Innere dieser Maschinen verändert, weil sich die Software verändert. Und da gibt es ja so ganz, wie soll ich sagen, so ganz konkrete Schwierigkeiten, an die man natürlich als Wissenschaftler im ersten Moment gar nicht denkt. Wir haben mal einen Vertreter der Munich Re, also einer Rückversicherung, gefragt, was sie eigentlich bei einem KI-Prozess versichern? Die Variante vom Montagmorgen oder die vom Donnerstagnachmittag? Wenn es da also ständig solche Verwandlungen gibt und man nicht weiß, mit welchen Gefahren das einhergeht, dann sind das unkalkulierbare Risiken. Dann zumal, wenn wir diese Algorithmen in die Wirklichkeit entlassen, wo ja viel mehr Akteure sind, die ganz andere Hoffnungen, Visionen, Träume und Ziele haben, als diejenigen, die erkenntnisgetrieben vielleicht in den Universitätsinstituten arbeiten.
Einen gewissen Schub hat das Thema Wissenschaftskommunikation ja auch durch die Politik bekommen. Es gab ja einen gemeinsamen Antrag von SPD, FDP und den Grünen, die sich dafür eingesetzt haben, dass Wissenschaftskommunikation nachhaltig ausgebaut und etabliert werden soll. Sie selbst haben sich bei einer öffentlichen Anhörung genau dafür eingesetzt. Glauben Sie, die Politik hat verstanden, dass Wissenschaftskommunikation ein Riesenthema und auch gesellschaftlich relevant ist?
Ich hatte in der Gutachtersitzung und im Ausschuss durchaus den Eindruck, dass das Interesse sehr hoch ist an dem Thema - übrigens auch von der Universitätsseite. Das war ja lange Zeit nicht so. Insofern hat es die Wissenschaftskommunikation geschafft, zunächst in das Zentrum der Wissenschaft zu kommen. Und Politik stellt halt fest, dass es eine gut informierte Bevölkerung es besser hat als eine dubios informierte Bevölkerung.
Beispiel USA: Da ist ein Mann wiedergewählt worden, der nachweislich lügt, dummes Zeug erzählt und obendrein vorbestraft ist. Hochzeiten für die Wissenschaftskommunikatoren also?
Selbstverständlich! Ich habe in einem Vortrag letzte Woche gesagt: Wenn die Supermacht, unter deren militärischem Schutzschirm wir leben, sich auf einmal gesellschaftlich so entwickelt, dass Wahrheit keine Bedeutung mehr für sie hat, dann wird es ganz, ganz schnell gefährlich. Und wenn uns die USA aus irrationalen Gründen keinen Schutzschild mehr garantieren, dann sollten wir uns sehr schnell selber wappnen, weil wir befürchten müssen, dass es Angreifer gibt in Europa, die uns deutlich bedrohen. Bei diesem Prozess ist natürlich auch die Wissenschaft gefordert. Ich bin sehr gespannt und hoffe sehr darauf, dass noch viel mehr Kolleginnen und Kollegen sich an das Thema heranwagen und auch die Gefahr erkennen, die darin besteht, dass wir uns nicht klar und verständlich dazu äußern.
Stichwort Verständlichkeit: Sie haben mal in einem Interview die Philosophin Hannah Arendt zitiert, die schon 1958 in ihrem Buch „Vita activa“ geschrieben hat: „Wenn die Öffentlichkeit Wissenschaft nicht versteht, dann werden sich die Menschen von ihr abwenden.“ Sind wir also an diesem Punkt angekommen?
Also ich kann überhaupt nur darauf verweisen, diese Philosophin vielmehr in den Mittelpunkt von einem Diskurs zu stellen, weil sie sowohl die Machtfrage diskutiert und insbesondere auch die Rolle der Wissenschaften innerhalb der Gesellschaft beleuchtet hat. Sie hat ganz früh darüber berichtet, wie schwierig es ist für die Naturwissenschaften, deren Sprache ja eine mathematische ist, das zu übersetzen in die Sprache, die im politischen Raum genutzt wird, nämlich unsere Muttersprache. Die Zeit, die dafür notwendig ist, um so einen Kommunikationsakt mit Gesellschaft wirklich befriedigend für beide Seiten zu vollziehen, die muss man sich eben nehmen. Aber da ja Zeit Geld ist und Geld an Universitäten so eine überragende Rolle spielt, steht genau diese Zeit, die man dafür bräuchte, das zu tun, häufig den Kolleginnen und Kollegen nicht zur Verfügung.
Sie selbst reden ja nicht nur über Wissenschaftskommunikation, sondern betreiben sie auch. Wie schwierig ist es denn tatsächlich in der Praxis, verständlich zu kommunizieren bei hochkomplexen Sachverhalten?
Man muss es ausprobieren, das ist das Interessante. Es gibt keine Patentrezepte dafür. Man muss es ausprobieren, und man muss feststellen, was am besten funktioniert. Ich habe relativ früh gemerkt, dass es ganz wichtig ist, sich auf einen Sachverhalt zu beschränken. Also nicht zu meinen, man müsse jetzt alles darstellen. Ich bin ein großer Freund des Pareto-Prinzips: 20 % Aufwand, 80 % Wirkung. Will heißen: Ich bin kein Perfektionist. Natürlich kann man zu jedem Thema noch was und noch was und noch was sagen. Ich sage lieber: Die weiteren Dinge klären wir beim nächsten Mal. Viel wichtiger ist es, sich zu überlegen, was die Motivation für das Gegenüber ist, dir zuzuhören? Warum soll der das wissen wollen, was du da jetzt zu erzählen hast? Das ist für mich das allerwichtigste Motiv. Wenn ich das Motiv nicht finde, lasse ich die Finger davon. Und dann probiere ich Dinge aus.
Und wie lange arbeiten Sie an so einer Sendung?
Ganz unterschiedlich. Die großen TerraX-Sendungen sind sehr aufwändige Produktionen, die oft Jahre vor der Ausstrahlung produziert werden. Daneben haben wir die Sendungen, die monatlich erscheinen. Das ist dann eine Sache von zwei, drei Tagen, bis alles im Kasten ist. Zuvor hat die Redaktion das Thema mit mir aber natürlich gut vorbereitet. Einen größeren Aufwand könnte ich auch gar nicht betreiben, denn ich bin ja hauptamtlich Universitätsprofessor.
Haben Sie denn den Eindruck, dass Forscherinnen und Forscher, Studentinnen und Studenten bereit sind, ihre Anstrengungen im Bereich Wissenschaftskommunikation auszubauen und die Zeit zu investieren, die es dafür braucht? Und: Tun auch die Universitäten genug, um dem Thema die nötige Dynamik zu verleihen?
Ich komme nochmal auf das Pareto-Prinzip zurück: Man kann sich ja durchaus fragen: Was für einen Aufwand müssen wir treiben, um 80 % Wirkung zu erzeugen? Ich habe schon den Eindruck, dass viele Universitätsleitungen das inzwischen begriffen haben. Neu berufene Präsidentinnen und Präsidenten sind sofort dabei, haben jemanden in ihrem Rektorat oder Präsidium, der sich mit Wissenschaftskommunikation beschäftigt. Es gibt unglaublich viele Leute an der Universität, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, und zwar ganz professionell. Auch und vor allem unter den Studentinnen und Studenten. Weil die Lust haben, einen eigenen YouTube Kanal zu machen oder sowas. Das ist eigentlich das ideale Medium. Und ganz nebenbei entsteht da etwas, was meiner Ansicht nach durch den Bologna-Prozess ein bisschen zurückgedrängt worden ist – nämlich die Sprechfähigkeit der Wissenschaft. Auf einmal gibt es da junge Leute, die können richtig gut erklären. Und das finde ich wunderbar. Man sollte viel öfter unter Menschen gehen. Und beispielsweise in Kneipen oder Schulen mit ganz normalen Menschen über Wissenschaft besprechen. Ich kann und will, auch über dieses Interview, allen nur zurufen: Leute, das macht einen unglaublichen Spaß!
Schauen Sie dann auch mal so im Netz rum, was da aktuell so alles passiert? Zum Beispiel auf TikTok?
Nein, nein, nein. Also, da bin ich völlig raus. Ich habe ja eine Redaktion, die sich darum kümmert, die mich dann auch - entsprechend gefiltert - darüber informiert, was man unbedingt machen muss und welche Art von Video jetzt angesagt ist. Aber ich selber kümmere mich da gar nicht drum. Ich halte mich da völlig zurück, auch ein bisschen aus Selbstschutz. Ich mache das, was ich tun kann, und ich weiß auch, dass man vielleicht viel mehr tun müsste, aber ich mehr kann ich nicht. Mein Tag hat 24 Stunden, meine Woche sieben Tage und ich bin schon ziemlich unterwegs damit und mehr kann ich momentan gar nicht machen.
Etwas grundsätzlicher gefragt: Welche Verantwortung tragen eigentlich Wissenschaftler in unserer Gesellschaft?
Zunächst ist es gar nicht so einfach, darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu reden, weil das Thema Verantwortung in unseren Ausbildungsgängen gar nicht vorkommt. Wir haben erstaunlicherweise keine externe Perspektive, von der aus wir auf unsere Wissenschaften schauen. Das macht die Philosophie manchmal, aber die Kontakte der empirischen Forschung zur Philosophie sind doch eher noch unterbelichtet. Da könnte man wesentlich mehr machen. Das andere, von meiner Position aus, würde ich immer sagen, schon die schlichte Tatsache, dass Gesellschaft die Wissenschaft finanziert, bringt sie in eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft. Das ist sozusagen der klare Tatbestand. Hier gibt es jemanden, der bezahlt wird und der hat eine gewisse Dienstleistung zu erbringen. Daneben entsteht natürlich eine Verantwortung dahingehend, dass aus der Erkenntnisfülle, die gerade die empirischen, also die Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften hervorbringen, natürlich die Verantwortung entsteht, mitzuteilen, wenn Gefahren lauern. Und wenn es Informationsbedarfe gibt. Ich würde zum Beispiel sehr gerne mal einen Vortrag im Bundestag über Klimawandel halten. Um die Abgeordneten einfach mal umfassend zu informieren. Ich habe nämlich den Eindruck, dass der wissenschaftliche Prozess, die Arbeit der Wissenschaftler, noch längst nicht verstanden wird in der Gesellschaft. Dass Zweifel zum Prinzip auch dazugehören, dass man Dinge hinterfragt und kontrovers diskutiert.
Noch einige eher persönliche Fragen: Gibt es eigentlich ein wissenschaftliches Konzept, das Ihre Sicht auf die Welt verändert hat?
Ja, ein Buch von Carl Friedrich von Weizsäcker, „Geschichte der Natur“ aus dem Jahr 1948. Das hat mein absolutes Faible für Geschichte mit meinem Enthusiasmus für Naturwissenschaften zusammengebracht. Und es ist meine Lieblingsvorlesung, die ich halte. Geschichte der Natur vom Urknall bis heute. Da sind alle Naturwissenschaften drin, da ist aber auch die Anthropologie drin, die Entstehung der Menschheit, die Sozialwissenschaften bis hin zur Philosophie. Diese Big History-Geschichte, die hat mein wissenschaftliches Weltbild praktisch exponentiell vergrößert.
Wenn Sie nicht Physiker geworden wären, was wären sie dann geworden?
Elektriker, wie mein Sohn und wie mein Vater.
Gibt es ein Lebensmotto oder einen Grundsatz, nachdem Sie leben und den Sie bisher selten geteilt haben?
Fürchte dich nicht! So kann man das Neue Testament zusammenfassen und das ist mein Lebensmotto.
Thema Musik: Da haben Sie sich schon mal geoutet, was Ihren Geschmack betrifft. Sie sind ein Fan von Jazzmusik und von David Brubeck. Die Frage des BR, welche Musiker sie gerne getroffen hätten, haben sie so beantwortet: Franz Liszt oder auch Franz Schubert. Schubert vielleicht noch mehr. Jetzt kommen Sie in die Stadt Richard Wagners. Haben Sie Bezüge zu Richard Wagner?Gar keine, nein! Ich kenne die Ouvertüren von Wagners Opern, aber ich kann mit dem „Ring“ und anderem leider gar nichts anfangen. Tut mir leid, da bin ich raus.
Wäre es nicht mal ein Versuch wert in Bayreuth?
Lesch: Also ich habe gehört, die Stühle sind sehr hart… Nein, Dave Brubeck ist immer noch mein Hero. Aber so Leute wie Liszt oder Schubert und auch der grandiose Mozart faszinieren mich natürlich auch. Und da ich selber leidenschaftlich, aber sehr schlecht Klavier spiele, sind es sicherlich diese Leute, die mir einfach unglaublichen Eindruck machen.
Nun kommen Sie am 27. November zum Festakt der Uni Bayreuth. Was wünschen Sie dieser Universität, die im kommenden Jahr 50. Geburtstag feiert? Was würden Sie ihr mit auf den Weg geben wollen?
Naja, ich weiß ja von ein paar interessanten Entwicklungen innerhalb der Universität Bayreuth; wir haben in unserer Familie jemanden, der hat in Bayreuth studiert, nämlich Philosophie und Wirtschaft. Und das finde ich eine grandiose Kombination. Das müsste viel, viel häufiger gemacht werden. In Bayreuth hat man offenbar den Mut, sich auch mal solchen neuen Themenkombinationen zuzuwenden, anstatt nur immer den gleichen Graben zu bearbeiten. Und diesen Mut, den sollte die Universität unbedingt behalten. Vielleicht sollte sie sogar noch ein bisschen mutiger werden und noch mehr Neues ausprobieren, damit die Universität zu einer lebendigen, vielfältigen und intellektuellen Landschaft wird, wo Freude an Wissenschaft und Austausch für alle spürbar wird.