Prof. Dr. Thoko Kaime, Inhaber des Lehrstuhls „African Legal Studies“ an der Universität Bayreuth, arbeitet im Rahmen des Exzellenzclusters Africa Multiple an einem Projekt mit dem Titel „When the law is not enough: Tackling intractable problems of human rights - prospects for integrated approaches" (DE: „Wenn Recht nicht ausreicht: Unlösbare Menschenrechtsprobleme- Perspektiven für integrierte Ansätze"). Das interinstitutionelle und interdisziplinäre Projekt untersucht, warum Menschenrechtsverletzungen in Afrika zu- statt abnehmen, obwohl es bereits einschlägige rechtliche Rahmenbedingungen gibt, die diese Rechtsverletzungen verhindern sollen. Darüber hinaus erarbeiten die Forschenden Vorschläge, die Lösungsansätze im Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen liefern sollen. Im Rahmen des Projekts findet nun auch eine Diskussionsreihe zum Thema statt.   

Prof. Kaime, Ihr Cluster-Forschungsprojekt und die kommende Veranstaltungsreihe befassen sich mit Fragen der Menschenrechte in Afrika – insbesondere mit den Gräueltaten des Menschenhandels, der Kinderarbeit und der Verletzung von LGBTQI+-Rechten. Können Sie uns etwas über das Ausmaß dieser Verstöße erzählen?

"Unzählige afrikanische Bürger leiden immer noch unter dem Joch eindeutiger Menschenrechtsverletzungen, und in einigen Fällen scheint sich ihre Situation aktuell noch zu verschlimmern. Ich kann einmal zwei Beispiele nennen: Kinderarbeit raubt nach wie vor vielen afrikanischen Kindern ihre Zukunft. Nach den globalen Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zur Kinderarbeit im Jahr 2020 ist die Zahl der Kinder, die Kinderarbeit verrichten, weltweit auf 160 Millionen gestiegen – ein Anstieg um 8,4 Millionen Kinder in den letzten vier Jahren – und Millionen weitere sind gefährdet. Nach Schätzungen der IAO verrichten 79 Millionen Kinder – fast die Hälfte aller Kinderarbeiter – riskante Aufgaben, die ihre Gesundheit, Sicherheit und moralische Entwicklung unmittelbar gefährden. Ein weiteres großes Menschenrechtsproblem besteht im Umgang der Gesellschaft mit der LGBTQI+-Community: In ganz Afrika wird vielen Bürgern nach wie vor das Recht verweigert, selbst zu entscheiden, wen sie lieben. Überall auf dem Kontinent, von Algerien bis Zentralafrika, kommt es vor, dass nicht-heterosexuelle Beziehungen mit schweren Strafen belegt werden, in einigen Fällen sogar mit dem Tod."

Dabei wurden zahlreiche rechtliche Vorstöße unternommen, um diese Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Wie sehen diese Rahmenbedingungen konkret aus, und warum haben sie bisher nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht?

"Was den rechtlichen und institutionellen Schutz der Menschenrechte in Afrika angeht, hat die Afrikanische Union enorme Fortschritte gemacht und sich für ein ständig wachsendes Netz von Verträgen und Institutionen eingesetzt, die den Schutz der Menschenrechte zum Ziel haben. Die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes (ACRWC) spricht sich zum Beispiel in Abschnitt 15 gegen Kinderarbeit aus; die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker spricht von der Nichtdiskriminierung aller Menschen unabhängig von ihrem Status und die Palermo-Protokolle aus dem Jahr 2000 und der Sonderberichterstatter für den Menschenhandel, insbesondere den Frauen- und Kinderhandel, verurteilen alle Formen des Menschenhandels. All diese Verstöße werden urch verfahrenstechnische und institutionelle Rahmenwerke wie die Afrikanische Kommission und den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker sowie durch Sonderverfahren wie Sonderberichterstatter und verschiedene Ausschüsse unterstützt. Ergänzend dazu haben viele afrikanische Länder in den letzten 30 Jahren sehr fortschrittliche Verfassungen mit eigenen Grundrechten verabschiedet."

Trotz dieser rechtlichen Rahmenbedingungen klingt der Projekttitel ziemlich entmutigend. Sind die Probleme, die mit diesen Menschenrechtsverletzungen einhergehen, wirklich „unlösbar“?

"Die Intersektionalität der Probleme ist es, die sie scheinbar unlösbar machen. Jedes dieser Menschenrechtsprobleme hat eine Vielzahl von Faktoren, die sich gegenseitig verstärken und die es schwierig machen, sie einzeln zu lösen. Trotz der zahlreichen rechtlichen Lösungen auf kontinentaler und nationaler Ebene bleiben die Probleme bestehen. Unser Projekt bringt nun Experten aus verschiedenen Bereichen zusammen, um gemeinsam an Problemlösungen zu arbeiten, voneinander zu lernen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu denken. Ein solches Team sollte in der Lage sein, die Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, um praktikable Lösungen zu finden. Das Projekt an sich ist also eine Quelle der Hoffnung, dass durch den Wissensbeitrag, den das Projekt am Ende der vier Jahre leisten soll, einige Lösungen gefunden werden."  

Professor Toko Kaime

Prof. Thoko Kaime 

Welchen konkreten Fragen gehen Sie in Ihrem Projekt nach und wie gehen Sie vor?

„Intractable problems of human rights" ist ein Projekt, das auf 48 Monate angelegt ist. Es wird vom Exzellenzcluster finanziert, ist am Lehrstuhl für African Legal Studies der Universität Bayreuth angesiedelt und wird in Zusammenarbeit mit der University of Rhodes in Südafrika durchgeführt. Das Projekt konzentriert sich auf drei unlösbare Menschenrechtsprobleme, nämlich Kinderarbeit, Menschenhandel und den Schutz der Rechte von LGBTQI+-Personen.  

Welche Fragenstellungen untersuchen Sie?

"Neben der grundsätzlichen Frage, warum trotz der Schaffung umfangreicher rechtlicher Rahmenbedingungen in ganz Afrika diese Menschenrechtsverletzungen fortbestehen, untersuchen wir konkret folgende Fragestellungen:

1. Welches sind die wichtigsten rechtlichen Merkmale der schwer lösbaren Probleme? Wie ist der Status quo der Fokusgruppe in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen in bestimmten Ländern? Was sind die Ursachen für die Diskrepanz zwischen den bestehenden Rechtsvorschriften und dem Status quo?

2. Welche wesentlichen rechtlichen und institutionellen Hindernisse behindern den Schutz? Welche Zwänge hindern die zuständigen Institutionen daran, die betreffenden Rechte umzusetzen?

3. Welches sind die nicht-rechtlichen Determinanten für die anhaltenden Verletzungen dieser Menschenrechte? Welche Hindernisse (z. B. politischer, kultureller, sozioethischer, wirtschaftlicher, religiöser und gewohnheitsrechtlicher Art) hindern den rechtlichen Rahmen daran, die Menschenrechte zu verwirklichen?

4. Wie können rechtliche und nicht-rechtliche Instrumente eingesetzt werden, um diese Probleme anzugehen und dauerhafte Ergebnisse zu erzielen? Was muss an den bestehenden Rechtsinstrumenten geändert werden, um die Anerkennung und Durchsetzung zu verbessern?"

Das ist ein großes Arbeitspaket. Wie gehen Sie das an?

"Wir sind uns der Intersektionalität und Komplexität dieser Probleme bewusst. Deshalb wenden wir ein breites Spektrum von Methoden an, um zu erforschen, welche Lücken bei der Bewältigung dieser Probleme bestehen, und zwar sowohl bei einzelnen als auch bei miteinander verknüpften Problemen. Wir untersuchen diese Fragen mit Hilfe sozialrechtlicher Forschungsmethoden. Wir möchten dabei in die Tiefe gehen, um einige der Push-Faktoren und Determinanten zu verstehen, die dazu führen, dass die Probleme in einem solchen Ausmaß fortbestehen. Dabei setzen wir Methoden an, die von Desk Research über empirische Forschung und Grounded Theory bis hin zu vergleichender Forschung reichen." 

Gibt es erste Ergebnisse, von denen Sie uns berichten können? 

"Die Feldforschung befindet sich noch im Anfangsstadium, da unsere Doktoranden gerade erst mit der Arbeit angefangen haben. Unsere vorläufigen Sekundärdaten bestätigen jedoch die früheren Annahmen, dass die Gesetze vorhanden sind und der rechtliche Rahmen stark genug ist, um die Probleme wirklich anzugehen. Die Stärke des Rechtsrahmens spiegelt sich in allen Ländern wider, die wir untersuchen. Diese Länder verfügen bereits über eine reichhaltige innerstaatliche Gesetzgebung die im Kampf gegen Menschenrechtsverstöße unterstützen sollen. Wir haben aber auch festgestellt, dass auf der anderen Seite die Probleme durch andere aufkommende Herausforderungen immer größer werden. Zum Beispiel werden Kinder durch den Klimawandel und COVID-19 noch mehr in die Kinderarbeit gedrängt, und weitere Faktoren kommen hinzu."

Begleitend haben Sie eine Veranstaltungsreihe zu Ihrem Projektthema initiiert – was erwartet uns hier?  

"Die Diskussionsreihe zu „Intractable Problems“ ist eine Möglichkeit, mit Experten aus der ganzen Welt zum Thema zusammenzudenken. Dafür haben wir ein Team von Akademiker*innen, Praktiker*innen, Aktivist*innen und Künstler*innn aus verschiedenen Bereichen eingeladen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe werden wir mit diesen Expert*innen diskutieren, um herauszufinden, was ihre Erfahrungen zum Thema sind und was ihrer Meinung nach die Lösungen für diese Probleme sein könnten. Sie werden sich über die besten Methoden und Maßnahmen austauschen, die sich bei der Bewältigung der Probleme in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich bewährt haben. Darüber hinaus soll die Reihe eine Plattform bieten, die Menschen dazu anregt, über den Tellerrand hinaus über diese Menschenrechtsprobleme nachzudenken und sich nicht nur auf die Lösungen zu beschränken, die in den bestehenden rechtlichen Rahmenwerken vorgeschlagen werden."

Die Diskussionsreihe startet am 26.10.2022 und wird bis 30.11.2022 wöchentlich Expert*innen zum Thema „Menschenrechtsverletzungen in Afrika“ zu Wort kommen lassen. Mehr Informationen: 

https://www.africanlegalstudies.uni-bayreuth.de/en/news/2022/Everyone_s-Human-Rights/index.html

Sabine Greiner

Sabine GreinerWissenschaftsjournalistin

Exzellenzcluster Africa Multiple
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0) 921 / 55-4795
E-Mail: sabine.greiner@uni-bayreuth.de
www.africamultiple.uni-bayreuth.de

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