Frau Molderf, welche Verbindungen haben Sie zur Universität Bayreuth?

Oksana Molderf: Ich bin seit 2019 im deutsch-ukrainischen Projekt „Learnopolis“ tätig, das die Universität Bayreuth und meine Alma Mater, die Nationale Iwan-Franko-Universität Lwiw, im gemeinsamen Bestreben vereinte, die Internationalisierung und die Digitalisierung der ukrainischen Hochschulen zu fördern. 2021 wurde das Projekt verlängert und bekam den Namen „Learnopolis+“. Das Konsortium hat sich darüber hinaus um zwei weitere Partneruniversitäten aus der Ukraine erweitert.

Die ursprüngliche Idee des Projekts ist durch einen beruflichen Kontakt zu dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Bayreuth Nicolai Teufel entstanden, der zu dem damaligen Zeitpunkt einen guten Überblick in die Besonderheiten der ukrainischen Bildungsprozesse hatte und sich nach der Veröffentlichung der entsprechenden DAAD-Ausschreibung sehr aktiv für den Antrag eingesetzt hat, der letztendlich auch genehmigt wurde. Und wie das manchmal passiert, ist der berufliche Kontakt nun auch in einen privaten Kontakt gewachsen und somit ist die Stadt Bayreuth für mich zu meinem zweiten Zuhause geworden.

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich habe die polnische Grenze in der Nacht zwischen dem 25. Februar und 26. Februar zusammen mit meinem Patenkind und seiner Mutter überschritten und zwei Tage später kamen wir dann hier in Bayreuth an. Der Grenzübergang war damals noch relativ einfach – wir haben sieben Stunden warten müssen, bis wir auf dem polnischen Territorium waren. Diejenigen, die später das Land verlassen wollten, mussten viel länger warten – manche tagelang. Für Erwachsene Menschen und für Mütter mit größeren Kindern sind sieben Stunden noch erträglich, aber ich habe in der Schlange auch Mütter mit Säuglingen gesehen. Ermüdet, erschöpft, von Angst überfüllt, mit Taschen und Koffern. Viele von ihnen wussten gar nicht, wohin sie überhaupt weitergehen sollten – das war ein entsetzliches Bild, muss ich sagen. Das ist das, was für immer in Erinnerung bleibt. So viel Leid, so viele Tränen und ein unheimlich schwerer und entsetzlicher Abschied von den Vätern, Männern, die, ihre Familie in die Sicherheit gebracht, wieder in die umkämpften Städte und Dörfer zurückkehrten, um ihr Land zu verteidigen. Für viele könnte das auch das letzte Treffen überhaupt sein.

Der Grenzübergang war damals noch relativ einfach – wir haben sieben Stunden warten müssen, bis wir auf dem polnischen Territorium waren.

Oksana Molderf überquerte die Grenze nach Polen direkt nach Ausbruch des Krieges, am 25. Februar 2022.

Wie war Ihre Ankunft hier in Bayreuth?

Wir alle haben 2015 und 2016 Aufnahmen von Menschen gesehen, die aus Syrien nach Europa fliehen mussten. Diese überfüllten Züge, diese vollen Flüchtlingslager – das sah damals so entsetzlich und so überfüllt von menschlichen Schmerzen aus. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass auch ich mal in so einem Lager sein muss, dass ich das einmal selbst mit eigenen Augen sehen muss, auch wenn nur sehr kurzfristig, weil wir auf unseren Weitertransport gewartet haben.

An dieser Stelle müsste man aber einen besonderen Dank aussprechen und zwar, an die lieben Menschen in Polen, die mit so viel Wärme, Mitgefühl und Offenheit das Leben der Ukrainer*innen in den ersten Stunden in Sicherheit erträglich machen wollten und das weiterhin machen. So viel Menschenliebe, Fürsorge und Unterstützung, wie im Lager für Flüchtlinge in der Nähe von dem Grenzübergang, habe ich nie in meinem Leben gesehen. Aber auch in Bezug auf die deutsche Gesellschaft muss ich viel Positives sagen.

Gleich am 24. Februar, wo die Aggression ausgebrochen ist, habe ich mehrere Nachrichten von meinen deutschen Bekannten, Kolleg*innen und Freunden bekommen. Mit manchen von ihnen hatte ich sogar über Jahre keinen aktiven Kontakt mehr. Alle äußerten ihre Solidarität, alle erklärten sich bereit zu helfen, alle boten Unterkunft an.

Auch nach der Ankunft in Deutschland konnte ich spüren, wie sehr die Menschen hier von der Situation in meinem Heimatland betroffen sind. Ich fand zum Beispiel die Spendenaktion der Universität Bayreuth, die gleich in den ersten Tagen dieser schrecklichen Aggression anfing, einfach großartig. So viele Menschen wollten und wollen immer noch helfen: mit Spenden, mit Hilfe beim Sortieren und Einpacken, mit Angeboten von Unterkünften. Selbst der Universitätspräsident, Herr Prof. Dr. Leible, half nicht nur durch die Koordination der ganzen Arbeit, sondern auch beim Kistentragen und -packen.

Wir alle haben 2015 und 2016 Aufnahmen von Menschen gesehen, die aus Syrien nach Europa fliehen mussten. Diese überfüllten Züge, diese vollen Flüchtlingslager – das sah damals so entsetzlich [...] aus. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass auch ich mal in so einem Lager sein muss.

Oksana Molderf über die Flucht

Sie arbeiten eigentlich an der Universität Lviv. Wie ist die Lage an der Universität?

Wir hatten eine zweiwöchige Pause, aber seit dem 14. März läuft der reguläre Unterricht wieder. Wie vor dem 24. Februar setzten wir die Arbeit weiterhin im Online-Format fort. Ich finde diese Entscheidung der Universitätsverwaltung sehr wichtig, denn trotz allen Umständen, trotz aller Bitterkeit muss das Leben weitergehen. Auch Präsident Selenskyj hat jeden aufgerufen, der noch einen Job hat und auf diese Weise dem Volk, dem Staat, der Wirtschaft dienen kann, diesen auszuüben. Die Bildung gibt dem Staat gerade kein Geld, eher im Gegenteil, aber wir müssen natürlich auch langfristig denken – nach dem Ende des Krieges wird das Land gute Fachkräfte benötigen. Aber auch in der kurzfristigen Perspektive braucht man ein bisschen Alltag, ein bisschen Routine, ein bisschen Austausch mit den Anderen.

Für mich gibt es keine bessere Belohnung für meine Arbeit unter jetzigen Umständen, als wenn ich sehe, dass meine Studierenden, die plötzlich so erwachsen und so ernst geworden sind und die mich mit traurigen Augen anschauen, am Ende des Unterrichts ein bisschen lächeln. Die Universität ist den Studierenden gegenüber sehr loyal: alle, die als Freiwillige engagiert sind, die sich in den umkämpften Gebieten befinden, bekommen besondere Bedingungen. Wir versuchen unter anderem mit Hilfe von Online-Plattformen einen asynchronen Zugang zu dem Lernprozess zu ermöglichen, auch bei den Qualifikationsarbeiten gibt es besonderen Bedingungen.

Außer der Arbeit als Dozentin am Lehrstuhl für Interkulturelle Kommunikation und Translationswissenschaft bin ich auch im International Office der Universität Lwiw. Dort ist gerade auch viel zu tun. Wir sind im engen Kontakt mit unseren Partnern von überall aus der Welt, die uns auf verschiedene Art und Weise unterstützen wollen. Die Universität Lwiw verfolgt klar die Position, dass die Wissenschaft dem Wohlergehen der Menschen, der demokratischen Entwicklung und der Verbreitung der humanistischen Ideen dienen soll. Daher versuchen wir unsere Kolleg*innen im Ausland darauf aufmerksam zu machen, dass diese Grundsätze in der russischen Wissenschaft leider gar nicht mehr gelten, wofür unter anderem die Erklärung der russischen Rektorenunion, unterzeichnet von über 200 Rektoren der russischen Universitäten, zur Unterstützung von Putin und seiner Politik ein gutes Beispiel ist.

Bereiten Sie sich mittlerweile darauf vor, länger hier zu bleiben?

Ich hatte nie vor, die Ukraine zu verlassen. Ich liebe dieses Land und war schon immer darauf stolz, auch dann, wenn mir gesagt wurde „Was hast du dort zu suchen, in dieser Armut, in der Korruption“. Ich habe in meinem Land immer sehr viel Potential, sehr viel kreative Kraft gesehen und heute weiß ich ganz bestimmt, dass dieser Krieg dem nicht ein Ende setzen kann.

Ich arbeite von Bayreuth aus weiterhin an der Universität Lwiw, indem ich unterrichte und im International Office meine Aufgaben erledige. Darüber hinaus engagiere ich mich freiwillig: Ich übersetzte viele Sachen, seien es Briefe, Medikamentenliste oder Nachrichten über die Lage in der Ukraine, helfe Medikamententransporte zu organisieren, gebe Interviews und bin Kontaktperson für diejenigen, die hier Schutz suchen oder Hilfe benötigen. Wir hoffen, dass wir möglichst bald auch unsere Arbeit im Projekt „Learnopolis+“ fortsetzen können. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, drei MOOCs zu produzieren und möchten diese Arbeit, sobald es geht, weiter fortsetzen.

Ich weiß die Unterstützung, die ich hier bekommen habe, sehr zu schätzen, bleibe optimistisch und versuche dieses Optimismus auch anderen zu geben. Das Wichtigste, worauf ich hoffe ist, dass ich schon bald die Nachricht lesen kann, dass der Krieg in der Ukraine zu Ende ist. Dann kann ich wieder meine Eltern umarmen, meine Studierende endlich mal live sehen und über Pflastersteine meiner Heimatstadt unter friedlichem Himmel spazieren gehen.

Wie halten Sie Kontakt zu Familie und Kolleg*innen, die noch im Kriegsgebiet sind?

Dadurch, dass die Internetverbindung praktisch überall im Lande ohne Probleme funktioniert, ist der Kontakt zu Familie und Kolleg*innen gar nicht so kompliziert. Und genau das ist das, was die Trennung etwas erträglicher macht. Für mich sind die Nachrichten, die Anrufe von meiner Familie, von meinen Freunden und Kolleg*innen, die gerade in der Ukraine sind, ein sehr kostbares Gut. Und auch wenn sich manche Stimmen erheben, die sagen, dass die nun im Ausland sind, es viel leichter haben, würde ich nicht sagen, dass es zu 100 Prozent so ist. Ja, man hört keine Sirenen des Luftalarms und keine Explosionen, aber man ist in Gedanken die ganze Zeit bei der Familie. Man hält sein Handy praktisch immer in der Hand und prüft dauernd die Nachrichten. Über den Telegramm-Kanal bekomme ich Benachrichtigung, wenn in meiner Stadt der Luftalarm losgeht. Und wissen Sie, es gibt nichts Besseres für mich heutzutage, als die Nachricht „Der Luftalarm ist aus. Sie dürfen nun den Schutzbunker verlassen“. Man hat keinen ruhigen Schlaf und auch mit der Ablenkung klappt es nicht immer. Wenn man am Sonntag durch das ruhige und sonnige Bayreuth geht und sieht, wie Menschen spazieren gehen und gelassen Kaffee trinken, erwischt man sich bei dem Gedanken „Ach, wie sehr vermisse ich diese Rituale des normalen Lebens und wie sehr wünsche ich diese friedlichen Sonntage im Kreis der Familie meinem Land. Möglichst bald, möglichst schnell“.

Jennifer Opel

Jennifer OpelStellvertretende Pressesprecherin, Leitung Campusmagazin UBTaktuell

Tel: +49 (0)921-55 5893
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